„Dornröschen“ von Andrey Kaydanovskiy 

Dornröschens Fall in die Wirklichkeit

Erfrischend: „Dornröschen“ von Andrey Kaydanovskiy am Musiktheater Linz

„Dornröschen“ ist Kaydanovskiys zweites abendfüllendes Tanzstück. Es scheint, als ließen sich Denken und Tun immer konziser in eine attraktive Bühnen-Sprache übersetzen, die vielgestaltig ist.

Linz, 28/12/2022

So lässt sich der seit einiger Zeit in deutschsprachigen Landen wieder gern inszenierte   Klassiker, Tschaikowskis „Dornröschen“ (1890), auch bewerkstelligen: Mit klarer Storyline veranschaulicht Andrey Kaydanovskiy am Linzer Musiktheater das Aufwachsen und damit auch das Erwachen des Mädchens namens Dornröschen in eine Gegenwart hinein. Erzählt wird eine stringente Pubertätsgeschichte in heutigem Gewand, die von Individualisierung und Eigenwillen der Prinzessin Aurora handelt und nachgerade logisch auch mit der Wahl eines unvorhersehbaren Partners endet.

Der von Wien aus agierende Choreograf Andrey Kaydanovskiy (35) hätte wohl auch ein der akademischen Danse d’ecole entsprechendes Tableau gestalten können, kennt er doch aus eigener Erfahrung einige der großformatigen Must have-Inszenierungen, wenn es darum geht, klassische Ensembles notwendigen Bewährungsproben in Tanztechnik und Darstellungskunst in prachtvollem Ambiente zu unterziehen. Seine Werke aber kennzeichnet ein zeitgenössischer Zugang zu sozialkritischem Konzept, theatralischer Inszenierung und ausdrucksstarker Bewegungssprache.

„Dornröschen“ ist wohl nach der (auch musikalischen) Uraufführung von „Der Schneesturm“ mit dem Bayerischen Staatsballett sein zweites abendfüllendes Tanzstück. Und es scheint, als ließen sich Denken und Tun immer konziser in eine attraktive Bühnen-Sprache übersetzen, die vielgestaltig ist. Trotzdem bleibt Kaydanovskiy dem erzählerischen Auftrag Tschaikowskis in der mitreißenden musikalischen Leitung von Marc Reibel und dem Bruckner Orchester Linz treu, auch wenn er an wenigen Stellen dunkles Sound Design von Angel Vassilev einsetzt und den dritten Akt komplett gestrichen hat. Dieser war letztlich ein reines Divertissement gewesen, das in einer zaristischen Welt der tanztechnischen Repräsentation diente. Kaydanovskiys Erzählung, die einer symbolhaften psychologischen Entwicklung folgt, braucht kein Dessert. Seine Sprache charakterisiert das 16 Tänzer*innen starke Ensemble Tanz Linz am oberösterreichischen Musiktheater im ersten Teil mit einem vordergründig-eleganten Stil und kritisch-ironischem Ausdruck der durch und durch rosafarben eingetunkt, in Socken vor sich hin feiernden Society (Ausstattung: Karoline Hogl und Melanie Jane Frost). Auch die traditionellen Feen – Schönheit (Rutsuki Povraznik), Klugheit (Katharina Illnar), Reichtum (Nicole Stroh), Kraft (Elena Sofia Bisci) tanzen hier mit Partner im pinken Dresscode der Gastgeber*innen und muten wie extrafeiner Aufputz an. Wenn Pedro Tayette mit der Fee des Reichtums einen Regen aus Gold produziert, lacht die junge Besucherin neben mir hell auf. Seine Fans hat auch Catalabutte (Samuel Arthur Sicilia), dessen aufgeregte Quirligkeit das Abhängen in der Luxus-Enklave noch steigert.

Im zweiten Teil, der vor allem im Wald spielt, stellt sich dramaturgisch sinnvoll eine zeitgenössischere, organischere Sprache ein, der die Titelheldin (Elisa Lodolini), eigentlich eine richtige Göre, die sich allmählich als Frau spürt und begreift, in seiner Welt veränderter Wahrnehmung begegnet. Hat es doch eben einen heftigen Sturz aus dem Fenster des elterlichen Hotel Rosa durchlebt, den die schwarz gekleidete Carabosse in Plateauschuhen (Yu-Teng Huang) vorantreibt. Sie oder Er mag für das Schicksal stehen, für das „In seinen und neben seinen Schuhen-Sein“, für Welt-Erkenntnis, für Gut und Böse, für das Herausschlüpfen aus der Bubble. Und eine solche Bubble, wie ein surrealistischer, märchenhafter Moment, landet eben auch in diesem dunklen Wald, die ein junger, hemdsärmelig gekleideter, neugieriger, suchender Mann (Mischa Hall) mit langem Stecken aufsticht. Man ahnt es nach all den schimärenhaften Tieren, die da auftauchten, und den vier Prinzen (Pavel Povraznik, Matteo Cogliandro, Tayette, Lorenzo Ruta), die sich umsonst produzierten: Ein ganz gewöhnlicher Typ wird der Partner sein, den Dornröschen anschleppt; die Eltern (Angelica Mattiazzi, Ilia Dergousoff) wohl froh, dass diese Tochter jemanden gefunden hat...

Weitere Vorstellungen: 5., 14., 18., 26. Januar; 26. Februar; 3., 24. März; 2., 14., 26. April; 4., 15., 29. Mai und 13. Juni, alternative Besetzung ab April
www.landestheater-linz.at

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