„An evening with Raimund“ von Hoghe + Schulte

An evening with/for Raimund

Die Hommage „An evening with Raimund“ als familiäre Geburtstagfeier im zukünftigen Pina-Bausch-Zentrum Wuppertal

Ein Tanzabend mit Stückausschnitten aus Raimund Hoghes Werken offenbart einmal mehr die Schwierigkeit im Umgang mit künstlerischem Erbe.

Wuppertal, 15/05/2023

12. Mai 2023, es wäre der 74. Geburtstag von Raimund Hoghe. Als Teil der Geburtstagsgesellschaft, fühle ich mich wie das „Plus 1“, das schon viel vom Geburtstagskind gehört hat, aber es nie persönlich hat kennenlernen dürfen. Neun enge Freund*innen und Bekannte haben für Hoghe unter der Leitung seines langjährigen Mitarbeiters Luca Giacomo Schulte kleine Beiträge vorbereitet. Während alle anderen Gäste mit dem Fuß zum Takt mitwippen, sogar in Lieder mit einstimmen können und an Stellen lachen, die mir unbegreiflich bleiben, frage ich mich wie bei so vielen Familienfesten: Wann ist es bitte endlich vorbei?

Es gibt lediglich einen Bund rosa Tulpen als einzigen Farbklecks im Raum. Für eine einladende Geburtstagsatmosphäre ist es zu dunkel. Wie die Stimme aus dem Jenseits berichtet Hoghe vom Band über sein Schönheits-Verständnis von Kunst und betont: „The end is not the end. It goes on. Always.“ Und er sollte recht behalten: Er ist tot, aber sein Ensemble tanzt für ihn weiter. Nach und nach treten die Tänzer*innen in langen schwarzen Mänteln auf die Tanzfläche und stellen sich mit dem Rücken zum Publikum in eine Reihe. Es bildet sich eine Beerdigungsgemeinschaft, welche gemeinsam einen rückwärtsgegangenen Trauermarsch durchführt, als wollten sie die Zeit zurückdrehen. Dabei halten sie sich verbunden an den Händen.

Generell ist der Abend geprägt von Händen. Andauernd flattern Arme durch den Raum, deren Hände Großes ausdrücken wollen und deren Bedeutung hinter fast pantomimischen Bewegungen verborgen bleiben sollen. Zwischenzeitlich werden die Hände gegenseitig mit Wasser gereinigt. Jede Aktion ist von einem unabdingbaren Drang von Narration erfüllt. Der Theaterabend entwickelt sich zu einem aneinandergereihten Potpourri in mehreren Akten mit Szeneübergängen in schlimmster Schultheater-Manier. Das Problem ist, dass die einzelnen Erinnerungssequenzen keine Zeit haben, um ihre vermeintlich einstige Wirkung entfalten zu können und aus diesem Grund immer wieder übertriebenen Pathos zum Opfer fallen.

Permanent dienen Hände dazu, den Raum zu erfühlen, sich selbst innerhalb des Umfelds zu begreifen. Jeder Schritt wird ausgeführt, als hätte er die Kraft, die Welt zu verändern, aber verliert sich in seiner Selbstreferenzialität. Gemeinsam mit einem Zuschauer neben mir atme ich intensiv aus: Er, aus völliger Hingabe, weil er meint, die Schönheit der Welt gesehen zu haben. Ich, weil ich diese Selbstgefälligkeit, Tanz als Religion zu verstehen, nicht mehr ertrage. Sollte sich noch eine Person über die Bühne bewegen und mir vorführen, wie sie sich gerade selbst intensiv fühlt, ohne das auch wirklich zu tun, brauche ich dringend eine Zigarette, um mich selbst wieder zu spüren.

Noch bevor der Gedanke, ob ich denn zu harsch über das Gesehene urteile, aufkommen kann, schleicht sich Hoghes Stimme erneut in den Raum, und ich fühle mich mit seinen Worten „Go on with your feeling“ darin bestätigt, die Aufführung weiterhin kritisch zu betrachten, denn „the audience shouldn´t be afraid of their own thoughts“. Mittlerweile entsteht der Eindruck, auf einen Röhrenfernseher zu schauen, dessen Bild leicht flackert und eine VHS-Kassette mit Ästhetiken der neunziger Jahre, aber immerhin in Farbe, abgespielt wird. Alle männlich gelesenen Tänzer*innen tragen Anzugshosen und alle weiblich gelesenen Absatzschuhe. Natürlich ist das ein typischer Aufhänger, sich aufzuregen, aber es ist gar nicht anders möglich bei diesem Anblick, nicht den nächsten Fall von einem künstlerischen Erbe vor sich zu haben, wo alle Beteiligten beim wankelmütigen Vorhaben das Erbe zu erhalten die Daumen drücken sollen. Ohne die Stücke mit dem verstorbenen Choreografen selbst live gesehen zu haben, wird trotzdem deutlich: Ohne die Präsenz von Raimund Hoghe verlieren die Werke an Wirkung.

Was ist der Sinn einer Hommage? Während des Abends ist eine uneingeschränkte Liebe und Hingabe gegenüber einem der wichtigsten Choreografen der letzten Jahrzehnte zu spüren. Vereinzelt können auch Unwissende erkennen, warum Hoghe für die Tanzwelt von Wichtigkeit war, doch der Abend entwickelte keine Sogkraft – und es stellt sich die Frage danach, ob Hoghe es denn zukünftig immer noch sein wird. Ein Tanzabend als typischer Geburtstag, bei dem man sich mehr über die Geburtstaggesellschaft ärgert als über das Geburtstagskind. Jedenfalls ist es kein Abend mit, sondern eindeutig für Raimund Hoghe. Am Ende folgt ein langes Black vor dem Applaus, alle sind in Gedenken an einen herausragenden Künstler.

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Zentrum für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) der Hochschule für Musik und Tanz Köln mit Tanzwissenschaft-Studierenden und dem Festival tanz nrw. Mit dem gemeinsamen Projekt möchten die Institutionen – zumindest temporär – eine Lücke schließen in der überregionalen Kulturberichterstattung über die freie Tanzszene in NRW.

 

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