„Don Quixote“ von Rudolf Nurejew mit Anita Manolova, Eszter Ledán, Davide Dato und Liudmila Konovalova (v.l.n.r.) sowie Ensemble des Wiener Staatsballetts

„Don Quixote“ von Rudolf Nurejew mit Anita Manolova, Eszter Ledán, Davide Dato und Liudmila Konovalova (v.l.n.r.) sowie Ensemble des Wiener Staatsballetts

Die Waffe des Lächelns

Überaus gelungene „Don Quixote“-Wiederaufnahme beim Wiener Staatsballett

Zahlreiche Debüts hielt der bis auf den letzten Platz ausverkaufte Ballettabend „Don Quixote“ in der Choreografie Rudolf Nurejews am vergangenen Freitag für sein Publikum bereit – dieses belohnte die Vorstellung mit frenetischem Schluss-Applaus und Blumenregen.

Wien, 25/09/2023

Nahezu ein Jahrzehnt musste das Wiener Publikum mit der aktuellen Wiederaufnahmen-Serie auf ‚seinen‘ Don Quixote warten: 1966 hatte Tänzerlegende Rudolf Nurejew das Auftragswerk für das Ballett der Wiener Staatsoper choreografiert, bis ins Jahr 1985 stand er regelmäßig auf dem Spielplan der Kompanie und 2011 wurde die Ballettkomödie – die längst ihren Siegeszug weltweit angetreten hatte – von Manuel Legris zurück an die österreichische Heimstätte gebracht. Nun bereitete Ballettdirektor Martin Schläpfer dem Publikum des Wiener Staatsballetts das große Geschenk und katapultierte das dreiaktige Ballettspektakel unter dem Feinschliff der Pariser Ballettmeisterin Florence Clerc erneut auf die Bühne der Wiener Staatsoper – ein Warten, das sich zweifellos gelohnt hat.

Zeitreise mit „Don Quixote“

Bei einem Werk, das über ein halbes Jahrhundert alt ist und auf eine allein seit Petipa rund 150-jährige Rezeptionsgeschichte blicken kann, darf man sich die Frage stellen, ob es auch für ein heutiges Publikum noch Relevanz besitzt. Die Wiederaufnahme lässt dies schnell bejahen, sofern man sich auch im Jahr 2023 auf den Zauber der Kunstform Ballett einzulassen vermag. Dann aber hält Nurejews Fassung des „Don Quixote“ alles bereit, was man sich von einem erfolgreichen ‚bunten‘ Handlungsballett in russisch-sowjetischer Manier in Nachfolge des ‚Großmeisters‘ Marius Petipa erwartet – und zwar in Hochglanz und Reinform: Magie des Augenblicks, virtuos-überbordende Tanzkunst, mitreißende Musik (vom gebürtigen Wiener Komponisten Ludwig Minkus), eine detailverliebt-aufwendige Ausstattung (Nicholas Georgiadis) und eine extragroße Portion sprühende Lebensfreude mit lokaler – hier spanisch-feuriger – Einfärbung. Genau dies versprach und hielt die aktuelle Neueinstudierung beim Wiener Staatsballett, die durch Frische, jederzeit präsente und ansteckende Spielfreude der wunderbar vielseitigen und internationalen Tänzer*innen in energetisch-pulsierenden Ensemble-Szenen wie auch hochvirtuosen Solopartien überzeugte. Wobei Robert Reimer am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper seinerseits für satt-bunte Klangfarbe aus dem Orchestergraben sorgte und die so eingängigen Melodien und Rhythmen idealtypischer Tanzmusik zaristischer Prägung gekonnt in Einklang mit den Künstler*innen auf der Bühne brachte.

Ein Tanzfest der Extraklasse

Kommt das Ballettpublikum mit diesem „Don Quixote“ voll auf seine Kosten, verhält es sich auch für heutige Tänzer*innen nicht anders, die – so heißt es – stets ein ‚höher, schneller, weiter‘ gewöhnt sind; denn auch diese fordert dieses Ballett aus dem Jahr 1966 gewaltig, das in puncto tanztechnische Schwierigkeit keinen Gramm Patina angelegt hat, und im Gegenteil auch für heutige Verhältnisse noch höchste Ansprüche an die athletisch-virtuose Tänzergeneration der Gegenwart stellt: Seien es die überaus präsenten Ensemble-Szenen mit ausgeklügelter und höchst wandelbarer Figuration oder seien es die kniffelig-vertrackten Solo-Variationen des Liebespaars der feurigen Kitri und des Schelms Basilio: Mit diesem steht und fällt eine jede Vorstellung des „Don Quixote“, die dem Liebespaar in keiner der drei Akte kaum einen Moment zum Atmen lässt. Die Ballettleitung hat sich mit der Entscheidung sicherlich einen Gefallen getan, für die halsbrecherischen Marathon-Partien bei der Wiederaufnahmen-Besetzung auf zwei in diesen Rollen bereits erfahrene Erste Solist*innen zurückzugreifen: Auf die technisch überzeugende Liudmila Konovalova mit blitzsauberer Fußarbeit, die im Laufe des Balletts auch zunehmend an Charme und Wärme gewinnt sowie Augenweide Davide Dato, der sowohl über die für diese charismatische Rolle unentbehrliche Bühnenpräsenz als auch über die gewisse Jugendlichkeit und darüber hinaus brillante Sprung- und Drehtechnik verfügt – fehlen diese Attribute, ist man in der Partie des Draufgängers Basilio komplett verloren, die sich Ausnahmeerscheinung Nurejew einst selbst auf den Leib choreografierte. Große Fußstapfen sind es, in die hier jeder neue Interpret tritt und eine geballte Portion Herausforderung, die der 2022 als ‚Tänzer des Jahres‘ nominierte Ballerino auf sich nimmt und mit Klasse bewältigt.

Über die beiden Glanzpartien hinaus ist dieser „Don Quixote“ aber in der Tat auch in weiten Teilen ein hinreißendes Ensemble-Stück, in welchem das Corps de ballet niemals zur Staffage des Hauptpaars verkümmert und das mit ausschweifendem Csárdás der ‚Zigeunerinnen‘, feurig-sinnlicher Seguidilla, schneidigen Torero-Szenen (überzeugend Marcos Menha als eleganter Espada mit äußerst aparter Gala Jovanovic als Straßentänzerin an seiner Seite) oder auch lupenreinem klassischem Spitzentanz in der rein weiblichen Traumvision Don Quixotes – als Relikt des traditionellen ätherisch-romantischen ‚ballet blanc‘-Aktes – mit entzückend-frischer Elena Bottaro in der Rolle des Amor auftrumpfen kann.

„Don Quixote“ wäre aber nicht „Don Quixote“, wenn dies Ballett nicht auch starke Charakterrollen aufzuweisen hätte, welche die Handlung zusammenhalten, vorantreiben und vor allem für dessen überraschend dominant komödiantische Seite einstehen: Wunderbar besetzt sind hier der mitreißend energetische Gaspare Li Mandri als gar nicht mönchischer Mönch Sancho Pansa, sein Konterpart Igor Milos als hochgewachsener Don Quixote, welcher der Titelfigur des Cervantes Romans von 1605/1615 mit nobel-entrückter Aura alle Ehre macht, oder Daniel Vizcayo als selbsterkorener eitler ‚Dandy‘ Gamache, der zweifellos als einer der Gewinner des Abends gelten kann und wesentlich zur humoristischen Seite dieses Balletts voll prallen Lebens und Leuchtkraft beiträgt – gerade auch diese beiden letztgenannten Tänzerdarsteller zählten zu den erfolgreichen Debüts dieses überaus erfolgreichen Abends.

Ist es eine enorme Herausforderung, die Spannung und tänzerische Exzellenz über diesen dreistündigen Abendfüller hinweg tänzerisch und darstellerisch zu halten, so findet das leidenschaftliche Liebespaar mit Konovalova und Dato vor allem im dritten Akt mit dem legendären Hochzeits-Pas-de-deux – als Kulminationspunkt des Balletts – zu seiner wirklichen Hochform und ertanzt sich schließlich mit Leichtigkeit und zirzensischer Anmut die Herzen des Publikums: Waghalsige Hebungen im Grand-Pas wechseln sich ab mit wirbelnden Double-Fouettés, Développé-Kicks, kecken blitzschnellen Passés, fliegenden Jetés, sprunggewaltiger Manège oder atemberaubenden Balancen in den Solovariationen Kitris und Basilios, die zum Abschluss noch einmal für das letzte Quäntchen Glanz und Gloria sorgen.

Zusammenspiel der Emotionen

Besonders gelungen wirkt der krönende Abschluss dieses Marathon-Balletts vor allem deshalb, weil hier das Liebespaar nicht nur physisch, sondern auch emotional wirklich zueinander gelangt – was wohl aufgrund des tanztechnischen höchsten Anspruchs dieses Balletts nicht von Anfang an in gleicher Weise gelingt. Sobald sich aber auch bei Konovalova ihr Kitri-Lächeln ebenso verführerisch vollends entfaltet wie ihr Fächer, wird gerade auch bei einem halsbrecherischen Ballett wie „Don Quixote“ wieder einmal deutlich, was letztlich die größte ‚Waffe‘ der Tänzer*innen ist und bleibt – weder kokette Fächerschwünge, noch fliegende Torero-Mäntel oder wirbelnde Beine kommen an die Kraft von Bühnenausstrahlung heran, mit welcher der eigentliche Funke auf ein Publikum überspringt, das sich erst dann vollends auf dies so fulminante Tanzfest einlassen und mitreißen lassen kann. Unbedingt gespannt sein kann man also auf die kommenden Vorstellungen und Besetzungen dieses pompösen Ballettfeuerwerks, auf das offenbar nicht nur das Wiener Publikum, sondern vor allem auch die Wiener Tänzer*innen geradewegs gewartet haben. Was für ein echtes Wiener Zuckerl für die Tanzwelt Wiens!

Weitere Vorstellungen der Wiederaufnahmen-Serie von „Don Quixote“ sind am 25. sowie 29. September und dann wieder am 15., 18., 25., 27. und 29. Februar 2024 zu erleben. Weitere Informationen auf der Webseite der Wiener Staatsoper www.wiener-staatsoper.at.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern