„Undressed" von tanzbar_Bremen

Die kleinen Dinge darunter und dahinter

Inklusives Tanztheater „Undressed“ von tanzbar_Bremen in der Schwankhalle

In ihrem neuen Tanzstück setzen sich, unter der Regie von Tom Bünger, sieben Tänzer*innen des inklusiven tanzbar-Ensembles mit den Fragen auseinander, was es bedeutet, sich nach einer langen Zeit der Isolation wieder der Welt zu öffnen. Was zeige ich, was verberge ich? Ein sensibles Tanzstück über Rollen und Gemeinsamkeiten im Kern des Menschseins.

Bremen, 22/02/2023

Alles, was wir im Leben tun, wenn wir den öffentlichen Raum betreten, können wir als Performance sehen. Die Welt als Bühne, in der wir mit unseren verschiedenen Rollen jonglieren. Doch was passiert mit uns in langen Zeiten der Isolation, wie in dem Corona-Lockdown? Und was zeigen wir eigentlich von uns wirklich, wenn wir eine öffentliche Bühne betreten?

In „Undressed“ hat sich Choreograf Tom Bünger mit dem Ensemble mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Schicht für Schicht versuchen Jenny Ecke, Tim Gerhards, Till Krumwiede, Corinna Mindt, Adriana Sinram, Oskar Spatz und Adrian Wenzel ihre Rollen abzustreifen, um den Blick für das freizulegen, was unter der Kostümierung, hinter dem einstudierten Verhalten steckt – sei es im Leben oder im Tanz. Wie unterschiedlich das ist, was jede*r freizugeben bereit ist, zeigt das Stück. Ein changierendes Spiel zwischen Rolle und Persönlichkeit.

Wie aufgereiht an einer Schnur, stehen die Akteur*innen in einer Reihe. Alle tragen knielange, figurnahe, plissierte Kleider. Die Kleider in unterschiedlichen Farben und Mustern haben alle denselben Schnitt. Mit kleinen, sich wiederholenden Gesten und reduzierten Tanzbewegungen beginnen die Tänzer*innen, nach und nach zu dem Volkslied „In einem tiefen Grunde“ zu agieren. Die eine fingert am Saum ihres Kleides, die nächste dreht mechanisch Kopf und Arme, ein anderer zeigt erste Schritte, ein weiterer legt sich langsam nieder.

Choreograf Tom Bünger setzt in „Undressed“ auf Gesten und Wiederholungen, die mal abgelegt und dann wiedergefunden werden. Aus kleinen Bewegungen entstehen größere und schließlich lösen sich alle aus der Reihe. Nach unterschiedlichen Solos oder Duos finden sie sich dann – wie bei einem Öffnen und Schließen eines Raums - in der Ordnung der Reihe wieder neu ein.

Die Tanzsprache bei „Undressed“ zeigt sich bei den nicht-behinderten Tänzer*innen vornehmlich in bekannten Formen des Modern Dance. Wenn auch den drei behinderten Tänzern diese Bewegungssprache vertraut ist (herausragend: Oskar Spatz), so wirkt   ihr Tanz doch verblüffend unmittelbar, sehr direkt, konzentriert und besonders wahrhaftig.

Dabei stellt die Choreografie nichts zur Schau; im Gegenteil: Sie findet eine Balance in diesem heterogenen, diversen Ensemble. Mit einem gleichermaßen sensiblen wie humoristischen Blick, spielt sie sogar mit den unterschiedlichen Sichtweisen auf Tanz. Nicht die Perfektion einer tänzerischen Form steht im Vordergrund, sondern der Ausdruck innerer Befindlichkeiten. Dafür hat Tom Bünger eine inspirierende Musikauswahl ausgewählt, zwischen Bettina Wegeners Version von „Komm süßer Tod“, Fish in a birdcage, Bach oder Ólafur Arnalds „So far“. Dazu gibt es Live-Percussion von Oskar Spatz am Schlagzeug und Adrian Wenzels Einsatz am Keyboard.

„Undressed“ spielt auf immer neue Weise mit dem Blick darunter und dahinter; es dreht sich eben um das Nacktsein. Alle Ensemble-Mitglieder haben ihre eigene Sprache auch dafür gefunden. So kommt Tänzer Tim Gerhardts plötzlich, komplett unbekleidet, auf die Bühne gesprungen und gibt ein selbstverliebtes, entzückendes Profi-Solo. Sein durchtrainierter Körper springt, dreht, fällt und wirbelt über die Bühne, bis er in der Rolle des persiflierten Startänzers schließlich die Publikumsblicke spürt. Vorsichtig dreht er sich, um sich leicht verschämt Schrittchen für Schrittchen von der Bühne zu stehlen.

Nicht weniger beeindruckend ist die Solo-Performance von Adrian Wenzel. In seiner knappen roten Unterhose gibt er eine witzige Show wie ein hemmungsloser Rockstar, der sich immer wieder lustvoll und kräftig auf die eigenen Pobacken schlägt.

Als Projekt von steptext dance project gestartet, arbeitet tanzbar_bremen seit 2009 als eigenständiger Vereinin einem Team aus Tänzer*innen, Choreograf*innen und anderen Kulturschaffenden. Im Zentrum der Arbeit steht die Förderung von Kunst und Kultur durch professionelle Zusammenarbeit inklusiver Teams. Seit 2015 arbeiten hier auch Tänzer*innen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Mit „Undressed“ zeigt tanzbar_bremen seine aktuellste Produktion zum 20. Geburtstag. Ein kurzweiliger, humorvoller und berührender Tanzabend.

Mehr Infos unter: www.tanzbarbremen.de

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