„Traces“ von Wim Vandekeybus, Ultima Vez

„Traces“ von Wim Vandekeybus, Ultima Vez

Zurück in die Zukunft

30 Jahre Tanzwerkstatt Europa

Die einzigartige Tanzwerkstatt Europa von Walter Heun feiert ihr Jubiläum mit verschiedensten Performances und Workshops

München, 23/07/2021

Soll man an Erfolgskonzepten rütteln? Seit 1991 unterstützt das Kulturreferat der Landeshauptstadt München ein in der regionalen Tanzlandschaft einzigartiges Format: die Tanzwerkstatt Europa. Ein bis heute von Walter Heun zweigleisig ausgerichtetes Sommerevent mit Performances und Workshops. Letztere sprechen in ihrem auf aktuelle Entwicklungstendenzen abgestimmten Mix Laien ebenso an wie Profis – und im Jubiläumsjahr ab 27.7. sogar explizit Senioren (Stephan Herwig: „Dance for the Golden Ages“). Zudem möchte man die Inklusionsbewegung mit vorantreiben. So war erstmals die gehörlose Tänzerin/Choreografin Kassandra Wedel mit ihrem Seminar „Visual Music“ Teil des diesjährigen Dozententeams. Schon im Vorfeld bewarb sie ihren Kurs ohne Worte so beredt, dass man sofort Lust darauf bekommen musste.

Jess Curtis dagegen ist auf Audiodeskription spezialisiert. Als zusätzliche Tonspur kann das beim Fernsehen mächtig nerven – oder man nimmt es als Lektion. Im Groben geht es ja um ein Beschreiben von Abläufen, die nicht jeder einfach visuell rezipieren kann. Wie das bei einer Tanzaufführung funktioniert, ließ sich am 30. und 31. Juli in der Philharmonie im Gasteig erleben, wo zu Moritz Ostruschnjaks endlich live gezeigter wilder Sause „Yester:Now“ (Premiere: 27.7.) in Zusammenarbeit mit den Gravity Access Services aus Berlin eine Live Audio Deskription für Blinde und Sehbehinderte angeboten wurde.

Ganz nebenbei handelte es sich bei Ostruschnjaks Aufführungsserie um die letzten öffentlichen Vorstellungen in diesem Saal. Dabei durfte das Publikum direkt ins imposante 2400-Plätze fassende Philharmonie-Auditorium blicken. Doch Walter Heun ist anlässlich des 30. Geburtstags seiner Tanzwerkstatt noch weitere Schulterschlüsse eingegangen. Unter anderem bei der Idee, zurück auf das allererste Projekt zu schauen, das letztlich den Stein ins Rollen gebracht hatte: eine Recherche rund um Mozart, an der vier europäische Choreografen beteiligt waren, für die – wie damals in der Szene generell – Kreationen zu klassischer Musik eigentlich nicht in Frage kamen. Rui Horta und Micha Purucker – beide an der Schwelle zu internationaler Bekanntheit – waren darunter. Nun haben sie ihre alten Stücke mit Tänzern des Gärtnerplatztheaters neu einstudiert. Dazu hatte man für die Eröffnungsproduktion „Re.Visited – 3 Works On Mozart“ (21.-23.7.) noch den Schweizer Thomas Hauert für eine Uraufführungsdreingabe mit ins Boot geholt. Eine spannende Ergänzung war, dass Purucker seine damals aufgezeichnete Urfassung vor und nach den Aufführungen im Carl-Orff-Saal im Foyer als Video zeigte.

Eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart spannte auch Jérôme Bel in seinem performativen Porträt der legendären Tanzpionierin „Isadora Duncan“ für die Interpretin Elisabeth Schwarzt. Kooperationspartner hier waren die Münchner Kammerspiele (24./25.7.). Als weiteres Groß-Highlight präsentierte Ultima Vez Wim Vandekeybus‘ im Dezember 2019 uraufgeführtes Stück „Traces“. 2020 von Corona ausgebremst, fügte sich das Gastspiel jetzt noch besser ein ins Programm. Der belgische Ausnahme-Choreograf kehrte hier zu den eigenen Wurzeln zurück und ließ reinen Tanz mit Musik, Rhythmen und Impulsen in einer Spurenlese gipfeln, die Mensch, Tier und Natur auf das Ursprünglichste in Beziehung zueinander setzen.

Abschließend widmete sich Heun mit Sheena McGrandles („Flush“, 1.8.), Salma Salem („Anchoring“) & Synda Jebali („À la recherche”, beide 3.8.) und Flora Détraz („Muyte Maker”, 4.8.) drei Favoritinnen der neuen Choreografen-Generation und ganz unterschiedlicher Herkunft. Insgesamt dauerte die Jubiläums-Tanzwerkstatt eine Woche länger als sonst. Eine positivere Antwort gibt es vermutlich kaum auf die Leitfrage des forsch „SymPodium der Körper- und Denkbewegungen“ betitelten Parcours aus Theorie-Beiträgen und künstlerischen Interventionen (5.8.), wie es mit der Kunstform Tanz nach der Pandemie und viel „Cultural Distancing“ weitergehen soll.

 

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