"Cobra Blonde" von Reut Shemesh

„Cobra Blonde“ von Reut Shemesh

Blonde Perücken

Reut Shemesh präsentiert „Cobra Blonde“, ein Projekt mit der Tanzgarde der Karnevalsfreunde der katholischen Jugend Düsseldorf am Tanzhaus NRW

Marschieren, kurze Rückchen, blonde Perücken und ein immerwährendes Lächeln – Reut Shemesh fragt in „Cobra Blonde“, was sich hinter dieser Fassade verbirgt.

Düsseldorf, 11/04/2021

Dann fangen sie an zu marschieren. Ein zackiges „Achtung!“ und los geht es im Gleichschritt durch den Zuschauerraum des Tanzhaus NRW und auf die Bühne, die Ronni Shendar auf weißem Tanzboden mit klaren farbigen Außenwegen strukturiert, die im Hintergrund in einen Bühnenrahmen übergehen. Darauf marschieren die elf Tänzerinnen in ihren Gardekostümen der Tanzgarde der Karnevalsfreunde der katholischen Jugend Düsseldorf – blonde Zopfperücke, kurze Kleider und Dreispitz inklusive. Sie marschieren in exakter Formation jeder Schritt, jede Drehung exakt gesetzt zu strammer Marschmusik und mit eingefrorenem Lächeln unter dickem, einheitlichen Makeup. Ein Aufritt wie von Aufziehfiguren, technisch perfekt aber in dem gegebenen Setting auch von einer merkwürdigen Kälte, die vielleicht durch die Situation des Live-Streams noch verstärkt wird. Der Ursprung des Gardetanzes in der Militärparodie wird hier durch die Überhöhung und Zerdehnung des Bewegung wieder aufgehoben und auf das Ausgangselement zurückgeführt. Anti-Parodie als künstlerische Forschung und Dekonstruktion durch Wiederholung der Geste.

Als ausführende Forscherin zeichnet die israelische Choreografin Reut Shemesh verantwortlich. Sie beschäftigt sich seit 2018 mit dem Phänomen Gardetanz, zunächst mit einem Fotoprojekt (das auf ihrer Website einsehbar ist) und hat nun mit „Cobra Blonde“ ihren ersten Tanzabend mit Gardetänzerinnen auf die Bühne des Tanzhaus NRW gebracht. Doch nicht all die spektakulären Spagate und akrobatisch tänzerischen Figuren stehen im Fokus (auch wenn sie ihren Raum bekommen), sondern eben ein Arbeiten mit den Bildern, die im Gardetanz produziert und reproduziert werden. Schicht um Schicht trägt sie die Kunstfigur Gardentänzerin ab, um aus den Versatzstücken Neues zu gestalten. Was passiert etwa, wenn das Lächeln verschwindet, was steckt unter den Uniformen und ginge nicht auch eine Polizeiuniform. Zu angedeuteten Pop-Takten im Loop werden in Slow-Motion-Bewegungen die eigentlich schnellen Abfolgen als Einzelbewegungen in einem Gestus der Dekonstruktion erkennbar gemacht.

Und was hat es eigentlich mit diesen Perücken auf sich, diesen blond gezopften Lockenuniformen, die hier auch mal als Pompons genutzt werden? Hier gelingt eines der stärksten Bilder, als fünf der Tänzerinnen ihre Perücken zu einer großen Haarskulptur zusammenflechten, die schließlich im Hintergrund an die Wand gehangen wird. Dazu gibt es ein Schlagermedley, das auch immer wieder das Bild des dummen Blondchen aufscheinen lässt, dem durch die pure künstlerische Dekonstruktion etwas entgegen gestellt wird.

Sehr einfühlsam nimmt Reut Shemes das Bild der Gardetänzerinnen auseinander und lässt die Tänzerinnen dahinter erscheinen, inklusive der Namen der elf Frauen zwischen 18 und 40 Jahren. „Wir sind Laura, eine mächtige, gefährliche Einheit“, spricht am Ende eine Computerstimme und man möchte es ihnen glauben.

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