„Der Feuervogel“ von Guide Markowitz. Tanz: Eleonora Pennacchini

„Der Feuervogel“ von Guide Markowitz. Tanz: Eleonora Pennacchini

Alles ist möglich

„Verwandlungen“: Tanzabend am Theater Pforzheim

Guido Markowitz hat es gewagt, mit der Interpretation der klassischen Tanzerzählung „Der Feuervogel“, Ovids Metamorphosen und mit einer Versetzung des Göttervaters Zeus in die Moderne seine eigene Verwandlung zu inszenieren.

Pforzheim, 11/02/2019

Leidenschaft, Gier, Macht, Hingabe, Liebe, Kummer, Abscheu, Hass, Zärtlichkeit und am Ende ein Schrei aus vielerlei Mündern. Einer, bei dem der ganze Körper ein einziger verzweifelter Schrei ist. Den muss man nicht hören, die Wucht kommt auch so beim Publikum im Großen Haus des Pforzheimer Stadttheaters an. Zitternde Körper liegen am Boden. Zeus hat ganze Arbeit geleistet: seine Macht ausgekostet, Beziehungen zerstört, auch die Hoffnung. Mit diesem Paukenschlag am Ende eines emotionsgeladenen Abends wird der Besucher dieser Uraufführung dann zurück gelassen.

Es ist ein Strudel, der einen in Sekundenschnelle ins Geschehen auf der Bühne hineinzieht. Die Aufführung heißt nicht umsonst „Verwandlungen“: Guido Markowitz hat es gewagt, mit der Interpretation der klassischen Tanzerzählung „Der Feuervogel“, Ovids Metamorphosen und mit einer Versetzung des Göttervaters Zeus in die Moderne seine eigene Verwandlung zu inszenieren und seinen eigenen Stil herauszuschälen. Das kleine, aus nur gut einem dutzend Tänzerinnen und Tänzern bestehende Ensemble vertraut ihm und geht diesen neuen Weg mit - tanzt, stampft, windet sich, krallt sich aneinander, fliegt beseelt über den Boden, selten löst sich eine Figur aus der Masse. Man kann nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander.

Ovids Metamorphosen muss man dazu nicht gelesen haben. Es genügt, dass man annähernd weiß, wer sich auf der Bühne im wilden Tanz tummelt: Orpheus und seine durch einen Schlangenbiss dahingeraffte Eurydike, das perfekte Liebespaar Venus und Adonis, der von der Jagdgöttin Diana in einen Hirsch verwandelte Aceton und die in eine Bärin verwandelte Nymphe Calisto. „Es ist“, so sagt Ballettchef Guido Markowitz, „ein Blick in den Kopf von Ovid.“ Seine Gedanken, denen die Verwandlungen (Metamorphosen) entsprungen sind, stellt der erste Teil des Tanzabends dar.

Dann taucht hinter der raschelnden schwarzen Folie pickend und mit typisch ruckelnden Vogelbewegungen der „Feuervogel“ auf, die Tänzerin greift die zuvor auf den Vorhang projizierten Flügelbewegungen auf. Der 1910 zum ersten Mal aus dem Ei geschlüpfte Feuervogel von Igor Strawinsky soll den in die Prinzessin verliebten Mann ablenken. Das geschieht durchaus mit klassischen Ballett-Elementen – auf Spitze getanzt. Deren Verschmelzung mit moderner Bewegung hat seinen Reiz. Michel Fokine hat das schon Anfang des 20. Jahrhunderts gewagt und dem stumpf gewordenen Ballett damit die Spinnweben von den Ballettschuhen gefegt. Auch Guido Markowitz bringt sein Ensemble dazu, die Emotionen mit jeder Faser des Körpers für den Betrachter sichtbar werden zu lassen. Körper, die man lesen kann. Da sind keine Pirouetten drehenden Marionetten auf der Bühne, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.

Klarheit und Leichtigkeit sind es, die Guido Markowitz im zweiten Teil der Trilogie in den Vordergrund rückt. Die Basis hierfür bildet Strawinskys „Dumbarton Oacks“ aus dem Jahr 1937/38. Episoden aus Ovids „Metamorphosen“ werden dazu getanzt - mit goldenen Masken und Hirschgeweih, Verwirrungen und Irrungen, und mit einer raffinierten Bühnenteilung durch einen erhöhten Tanzboden, so dass auch die Unterwelt sichtbar wird. Verbannung als Erlösung? Tod als Befreiung? Die Themen sind so vielschichtig wie der Tanz selbst.

Im dritten und letzten Teil des Tanzabends rückt der Pianist auf die Bühne. Die Komposition „Metamorphosis“ von Philip Glass bildet den musikalischen Hintergrund mit melodischen Wiederholungen, die gleichzeitig hoffnungsvoll und melancholisch klingen. Hier wagt Markowitz den Spagat von der Antike in die Moderne. Die Götter von damals als die Götter von heute, im Anzug statt im goldenen Vlies. Die Probleme von damals sind die Probleme von heute. Diese sichtbar werden zu lassen, gelingt dem Stuttgarter Medienkünstler Philip Contag-Lada mit einem auf das Wesentliche reduzierte Bühnenbild: Videoinstallationen lassen Flammen züngeln, 2000 Jahre alte Götter- und Menschengestalten über den Vorhang flimmern, das Wort Zeus ins Auge springen. Der Zauberwald ist eine schwarze Folie, die raschelnd dunkle Gestalten gebiert.

Nur, wie geht sie aus, die Geschichte von Hera und dem seine Trieben mit aller List und Tücke auslebenden Zeus? Kehrt der sich im dritten Teil in seiner Macht suhlende Zeus in den Schoß Heras zurück? Lässt er sie links liegen? Es ist beides und nichts davon. Alles ist möglich. Und im Tanz erst recht. Dafür ist die mutige Inszenierung von „Verwandlungen“ ein Beispiel. Der lang anhaltende Applaus spricht für sich. Er ist verdient.
 

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