„One Flat Thing. Reproduced“ von William Forsythe: Tanz: Ensemble

„One Flat Thing. Reproduced“ von William Forsythe: Tanz: Ensemble

Eulenspiegeleien zwischen Ästhetik und Statement

Premiere von „b.38“ in Duisburg

Die Fiktion des schelmisch-sarkastischen Gauklers Eulenspiegel als politischem Mahner bleibt in Schläpfers Ballett eher blass. Stärker berührt Forsythes hektische Orientierungslosigkeit eines verstörten Volkes in „One Flat Thing. Reproduced“.

Duisburg, 10/02/2019

Die Fiktion von dem schelmisch-sarkastischen Gaukler Till Eulenspiegel als politischem Mahner bleibt in Martin Schläpfers neuem Ballett eher blass. Viel stärker berührt bei der Premiere von „b.38“ des Ballett am Rhein William Forsythes hektische Orientierungslosigkeit eines verstörten Volkes in „One Flat Thing. Reproduced“ von 2003.

Immerhin: Martin Schläpfers „Ulenspiegeltänze“ sind ein ästhetisches Gesamtkunstwerk, geschaffen von drei Meistern ihres Metiers: ein betörend aktuelles Plädoyer für zeitgemäßes Ballett dank Schläpfers choreografischer Eleganz, poetisch durch Keso Dekkers video-angereichertes Ambiente und theatralisch funkelnd akustisch untermalt von Sergej Prokofjews 7. Sinfonie mit ihren betont rhythmischen, lautmalerisch instrumentierten „Cinderella“-Zitaten, zauberhaft musiziert von den Duisburger Philharmonikern unter der Stabführung des Ballett erfahrenen Wen-Pin Chien.

Womöglich war Daniel Kehlmanns neuester Bestseller „Tyll“ Anstoß für Schläpfers neue Kreation. Der Literat hat den legendären Narren als kritischen Beobachter und Kommentator gesellschaftlicher Gepflogenheiten, die heute wie damals gelten, stilisiert. Kehlmann jongliert in seinem Roman mit geschichtlichen Episoden aus dem Dreißigjährigen Krieg wie sein Tyll mit bunten Bällen oder Steinen und konterkariert die heikle Balance zwischen Kriegs- und Glaubensnöten ehrlicher Leute (wie Tylls Vater Klaus Ulenspiegel) und skrupellosen Vernichtungsfeldzügen der Mächtigen von Europas Höfen und Inquisitionshochburgen mit den Seiltänzen des schlitzohrigen Gauklers. Besetzung und Bühnenbild nehmen die Stichworte auf.

Schläpfers Eulenspiegeleien folgen choreografisch allerdings weitgehend den musikalischen Rhythmen von Prokofjews Musik. Sie sind als Kritik aktueller Politik kaum tauglich, überzeugen aber durch ihren menschlich anrührenden Charme - personifiziert durch Yuko Kato, die symbolisch den ZuschauerInnen, eher bittend als provozierend, den Spiegel vorhält. Hinten hockt zu Beginn des Balletts die virtuell aufgeplusterte Eule (genial ihr Abflug!). Am Ende trägt sie, passend zum rheinischen Karneval, eine rote Pappnase. Alles also Poesie…

Keso Dekkers anfangs verschwommener Mond zwischen den kahlen gebogenen Birkenstämmen - diesem auf dem Theater immer garantiert berührenden russischen Symbol für menschliche Melancholie - ist zum Schluss ein schwarzer Punkt, in dem für Minuten das gemalte Konterfei von Stalin erscheint.

Das ist allerdings eine unerträglich billige Klammer zum Auftakt dieses fast dreistündigen Dreiteilers beim bisher so niveauvollen Ballett am Rhein. Ballettdirektor Remus Şucheană weckt in „Sinfonie Nr. 1“, der zweiten Uraufführung dieser Premiere, eine choreografisch peinliche Erinnerung an den sowjetischen Militarismus auf die bei Musikern und Konzertbesuchern zu Recht ungeliebten erste Sinfonie des Klavier-Virtuosen Sergej Rachmaninow. Da nützt es auch nichts, dass Militärs und vorher verlassene und missbrauchte Frauen (Marlúcia do Amaral muss Chidozie dienen), brav aufgereiht auf der Hinterbühne vor dem dunkelgrün schimmernden Metallvorhang, in die Versenkung fahren.

Glücklicherweise war zwischen diesen 'russischen' Balletten William Forsythes kurze Impression eines wilden Bienenschwarms um eine derangierte Wabe ausnehmend unterhaltsam. „One Flat Thing. Reproduced“ von 2003 antwortete damals - vielleicht - auf die endlosen Stuhlreihen des deutschen Tanztheaters mit fünfmal vier sehr banalen Metalltischgestellen, die die TänzerInnen anfangs mit Wucht und Verve von hinten nach vorn über die Bühne schieben und eine Viertelstunde später wieder zurück. Nur das Original hat eine hässliche Spanplatte obendrauf. Die Reproduktionen schimmern opak. Kein Wunder, dass im 'Bienenvolk' jeder und jede ihr eigenes Ding machen, um sich in der ungewohnten Wabe zurecht zu finden. Forsythes Choreografie auf Thomas Willems pulsierenden elektronischen Soundtrack ist auch im Kontext dieses Programms ein Tanzstück für WeltklassetänzerInnen als Pulsgeber für individuelle Posen, Gesten und Interaktionen.

„b.38“ vereint politische Statements in drei choreografischen Handschriften und ist vor allem durch die tänzerische Qualität dieser solistischen Kompanie ein Triumph zeitgenössischer Tanzkunst.
 

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