„Magnificat“ von Mario Schröder

„Magnificat“ von Mario Schröder

Aufbruch und Scheitern

Mario Schröders choreografische Uraufführung des „Magnificat“ in Leipzig

Bach, Pergolesi und indische Klänge: Nach seiner tänzerischen Auseinandersetzung mit Bachs Johannes-Passion 2017, widmet sich Mario Schröder und sein Leipziger Ballett mit „Maginificat“ erneut einem Werk des Thomaskantors.

Leipzig, 12/02/2019

Allein die Zusammenstellung der Musik macht neugierig. Bei „Maginficat“ kombiniert Mario Schröder Bachs Komposition für Solisten, Chor und Orchester mit anderen Kompositionen, dem „Stabat Mater“ von Giovanni Battista Pergolesi, einem Zeitgenossen Bachs, und mit live von der Band Indigo Masala gespielter Musik, die sich in eigenen Kompositionen musikalischen Traditionen der indischen Musik widmet. Dabei stellt sich aber auch die Frage nach der Begründung für eine solche Auswahl.

Doch die Korrespondenzen sind da. Bach vertonte den Lobgesang der Maria aus dem Evangelium des Lukas, „Magnificat“: Meine Seele erhebt den Herrn. Sie wird die Mutter des Heilands sein. Ihr Gesang ist voller Hoffnung, voller Visionen, voller Zuversicht. Dieser Heiland, den sie zur Welt bringt, wird nach dem Willen Gottes die Gewaltigen vom Thron stürzen, die Niedrigen erheben, die Hungernden mit Gütern füllen, die Reichen leer ausgehen lassen. Eine soziale Botschaft, eine revolutionäre, dazu - das Evangelium wurde zwischen 60 und 80 nach Christus abgefasst - eine ungewöhnliche Aussage einer Frau zu dieser Zeit. Aber es endet für den Sohn Marias tödlich, er wird hingerichtet, stirbt am Kreuz. Dem Schmerz der Mutter unterm Kreuz gibt das mittelalterliche Gedicht „Stabat Mater, dolorosa“ emotionale Tiefe, die Komposition Pergolesis nimmt das auf. Die Zusammenführung beider Werke bedeutet inhaltlich und musikalisch eine große Spannung zwischen Hoffnung, Aufbruch und Scheitern, was aber immer wieder auch, so erschließt sich die Dramaturgie dieser großen choreografischen Inszenierung, Aufbruch und neue Kraft bedeutet.

Dazu kommt nun ja noch eine doch recht ungewöhnlich erscheinende musikalische Erweiterung dazu, traditionelle Musik aus Indien, gespielt, gesungen und gepfiffen von den drei Musikern der Band Indigo Masala, mit typischen Instrumenten. Hier sollte nun wohl kraft der Klänge eine Erweiterung vorgenommen werden, ein weltumspannender Gedanke musikalischer Form erhalten und zugleich ein zeitlicher Bogen gespannt werden, vom ersten Jahrhundert nach Christus, über das 18. Jahrhundert bis in die Aktualität der Gegenwart. Denn diese ist ja geprägt von den Gegensätzen zwischen hoffnungsvollen Aufbrüchen und schmerzvollen, tödlichen Niederlagen, derer, die sich den ungelösten Fragen der Gerechtigkeit stellen und dafür eintreten, scheitern und wieder aufstehen. Dabei wirkte die Musik der Band Indigo Masala teilweise doch sehr europäisiert: mit mild klingenden Übergängen, und Musik, die auch mal zu einer Art Hintergrundsound wird, ein bisschen wie Filmmusik. Dagegen setzt die Musik von Bach und Pergolesi doch die stärkeren Akzente, auch für choreografische Anregungen.

Die Choreografie und die daraus entstehenden Bilder lassen keinen Zweifel am großem Engagement Mario Schröders. Er ist voll in seiner Thematik, dem Leiden an Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit. Dabei gibt es starke Momente, wenn die musikalischen Themen mit den Bildern der Bewegung verschmelzen, besonders in den solistischen Varianten. Assoziationen des Aufbruchs und des Scheiterns kommen vor allem in den großen Bildern auf, wenn sich Menschen zusammenfinden und wieder in der Vereinzelung verlieren, wenn sie aufstehen oder stürzen, wenn sie Halt aneinander und untereinander suchen. „Magnificat“ ist ja kein Handlungsballett, sondern eine Abfolge von Bildsequenzen. Da erscheint aber die Kraft, die auf den Tanz wirkt, bei Bach und Pergolesi stärker und gelungener als in den Passagen zur indischen Musik, vor allem wenn die Führung der Arme und die Haltungen der Hände im Tanz an aus dem indischen Tanz stammende Bewegungen erinnert. Mit freundlicher Ironie umschrieben: das wirkte ein bisschen wie Bach und Bollywood.

Die große Bühne des Leipziger Opernhauses wird in der Ausstattung von Paul Zoller umgrenzt von vielen gerüstartigen Türmen, als sei da eine Ab- und Ausgrenzung im Entstehen. Noch ist alles durchlässig, noch können die Elemente bewegt und in den Tanz einbezogen werden. An der hinteren Bühnenwand befindet sich ein großes Rad: als Symbol für den Weltkreis, Rad der Geschichte, leer und im Stillstand oder mit Menschen darin. Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man dabei an Dürers oder da Vincis Menschen im Kreis denkt, außerdem ist ja der Mensch als Mikrokosmos gerade im Tanz und dessen Variationen des Kreises von besonderer Bedeutung.

Nicht unwesentlich an diesem Abend, für dessen Libretto und Dramaturgie Thilo Reinhardt verantwortlich zeichnet, ist die musikalische Seite mit dem Gewandhausorchester, Opern- und Kinderchor und einem ausgezeichneten Solistenquintett, unter der Leitung von Christoph Gedschold. Dieses musikalische Fundament setzt entscheidende Maßstäbe und gibt Impulse für die Aufführung, deren Stärke am Ende vielleicht auch darin liegt, dass man auf ganz unterschiedliche Weise Zugang findet: dass die Kraft des Scheiterns eben auch eine Kraft ist und dass betrachtendes Innehalten ganz wesentlich ist, um Kraft für neue Aufbrüche zu erlangen.

Da nicht davon auszugehen ist, dass, selbst in der Bachstadt Leipzig, der Text des „Magnificat“ bekannt ist, was sicherlich auch für den Text von „Stabat Mater“ gilt, könnte eine Projektion der Texte dazu beitragen, auch dem choreografischen Anliegen noch besser zu folgen - vor allem aber in diesem Falle völlig unangemessene, den Inhalt missachtende Beifallsbekundungen, zu vermeiden.
 

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