„auf meinen Schultern“ von und mit Raphael Hillebrand

„auf meinen Schultern“ von und mit Raphael Hillebrand

Eine Identität ertanzen

„auf meinen Schultern“ von und mit Raphael Hillebrand am Ballhaus Naunynstraße uraufgeführt

Der B-Boy und Choreograf Raphael Hillebrand gibt mit vollem Körpereinsatz eine rasante philosophische Lehrstunde über Rassismus, HipHop und deutsche Kultur.

Berlin, 06/09/2019

„Und dann landeten wir im elften Stockwerk“ – Raphael Hillebrand meißelt die Stufen des Wohnblocks mit scharfen Schlägen in die Luft. Seine Karriere als Breakdancer hat ihn diese rasant-roboterhaften Bewegungen gelehrt. Hillebrand prägt seine Geschichten in den Raum. Wir sehen, was wir hören. Ein Körper wird Ausdruck. Sein Körper verlangt nach Ausdruck. Denn auch sein Körper wurde geprägt. Und von diesen Prägungen will er erzählen. Mit seinem erzählerischen, die deutsche Vergangenheit hinterfragenden Solo „3 Brüder“ tourte er für das Goethe-Institut um die Welt und repräsentierte deutsche Kultur.

Das war für den kleinen, in den 11. Stock umziehenden Raphael alles andere als absehbar. Der wurde von genauso kleinen weißen MitschülerInnen mit dem N-Wort gemobbt, was für seine LehrerInnen kein Problem darstellte. Als er einmal zurückschlug, war auf einmal er das Problem. Auch das veranschaulicht Raphael Hillebrand mit brillant gemeißelten Gesten und längeren Break-Einlagen. In ihnen kommt noch einmal die Wut zum Ausdruck, die ihn damals in der Gewalt hatte. Eigentlich war er für eine Karriere als Kleinkrimineller prädestiniert. Aber dann entdeckte er HipHop und konnte seinem Leben eine positive Richtung geben.

Das jüngste Resultat dieser positiven Entwicklung ist seine kleine Tochter Jara. Ihr will er sein Leben zeigen. Und das heißt, ihr will er ihren Vater zeigen, wie er heute sein Leben sieht. „auf meinen Schultern“ ist der Titel seines neuen Solos, das im ausverkauften Ballhaus Naunynstraße seine gefeierte Premiere hatte. „Wir stehen alle auf den Schultern unserer Vorfahren“, sagt er zu seiner Tochter – und meint doch uns, sein Publikum, dem er eine Lehrstunde darüber erteilt, was es heißt, als vaterloser Schwarzer in diesem unserem Land aufzuwachsen. Lächelnd, nicht wehleidig, mit philosophischer Gelassenheit, nicht mit politisch-korrektem Eifer. Sein Credo: deutsche Kunst ist alle Kunst, die in Deutschland entsteht. So einfach ist das.

Der Anfang in dem schwarz ausgehängten historischen Ballsaal ist spektakulär: Glitzernde Show-Musik, Hillebrand im karierten Jackett als Entertainer vor rotem Screen, strahlend lächelnde Augen, super ausgeleuchteter Raum. Dann stellt er den einzigen Begleiter bei seiner Bühnenshow vor: den Musiker Eurico Ferreira Mathias, der mit seinen Improvisationen den Abend live begleitet. Manchmal improvisieren sie auch beide, der Tänzer reagiert dann mit seinen Moves auf die Vorlagen des Cellisten. Das alles sind wache Vorgänge, die den ZuschauerInnen Spaß machen. Doch dann ist Schluss mit lustig, Hillebrand sagt zu seiner Tochter: „Misstraue Männern im Anzug!“, legt das Mikrofon weg und zieht sich aus. Bis auf die weißglänzende, weite Sporthose und die Schuhe zum Breaken. Darin zeigt er, was er wirklich kann.

Raphael Hillebrand braucht nicht viel außer seinem Körper und dem Cellisten: Scheinwerfer, eine Leinwand, eine Kamera und einen Beamer. Mit der Kamera wirft er alte Familienfotos an die Leinwand, aber nicht einfach so, sondern raffiniert. Und er schafft durch Live-Verfremdung und -Multiplizierung faszinierende Tanzbilder. Alle Technik wird aber mit Bedacht eingesetzt, nicht zur Überwältigung oder als Geschmacksverstärker. Er gebraucht vor allem seine Stimme, die auch dann nicht atemlos wird, wenn er eine längere Breakeinlage liefert, die bei den ZuschauerInnen wiederholt Begeisterung auslöst. Er kann es auch mit 37 noch! Mit diesem Körper hat er sich eine afro-europäische Identität ertanzt, aus eigener Kraft, in Reaktion auf seine Umwelt, in Kommunikation mit anderen. Seine Art, das zu erzählen, ist einzigartig.

„auf meinen Schultern“ ist bewegend, aber nie rührend. Hillebrand bewegt das Hirn. Und er zeigt, wie sehr der Körper den Geist prägt. Sein Finger deutet auf die Haut: das ist die Haut, die uns von der Welt trennt. Der Finger wird härter: Aber die Welt dringt durch die Haut bis auf die Knochen. Das tut weh. Aber es trägt dazu bei, mit diesen Knochen den aufrechten Gang zu üben. Damit die nächste Generation auf diesen Schultern sitzen kann, ohne einzuknicken.
 

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