Zwischen Energie und Lethargie
Sehr unterschiedliche Tanzproduktionen beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg
„The Ecstatic“ heißt die Arbeit des US-amerikanischen Tänzers und Choreografen Jeremy Nedd in Zusammenarbeit mit Tänzern des Tanznetzwerkes Impilo Mapantsula. Und doch herrscht zu einem großen Teil der Performance vornehmlich Stille, Bewegungsarmut bis Bewegungslosigkeit. So auch zu Beginn des etwas einstündigen Stückes, in dem die sechs Tänzer, lässig gekleidet in kurzärmlige Hemden, darunter weiße Unterhemden, weite Hosen, Sportschuhe, alle mit verschiedenfarbigen Mützen auf dem Kopf, auf dem Boden sitzen, ziellos hin- und herlaufen, sich für den Tanz zurechtmachen. Die Bühne ist leer. Nur im Hintergrund hängt ein riesiges weißes Tuch von der Decke, leicht mit schwarz, rot und grün bemalt und an den Ecken verknotet. Es dauert mehrere Minuten, bis die Tänzer langsam beginnen, locker kleine Bewegungen auszuprobieren und zu einem sich allmählich steigernden Soundpattern in den Tanz zu finden.
Jeremy Nedd verbindet in seiner Arbeit den Pantsula mit der Tanztradition des Praise Break. Pantsula ist eine moderne Tanzform aus den urbanen Gebieten Südafrikas, das die Tanz- und Musikkultur der Sechziger und Siebziger Jahre abbilden soll. Das globale Netzwerk Impilo Mapantsula widmet sich der Dokumentierung und Förderung dieser einzigartigen Tanzform, die in „The Ecstatic“ auf die kirchliche Tanztradition des „Praise Break“, eine organische Verbindung von Bewegung, Stimme und Musik, trifft.
So entsteht eine Fusion rhythmischer, schneller Fußarbeit mit dieser Form des Anbetens, was eine neue hochpräzise Bewegungssprache entstehen lässt. Durch spielerisches Ausprobieren, voneinander Abgucken und gegenseitiges Anfeuern finden die sechs Tänzer in einen tänzerischen Fluss, der durch Steigerung des synkopischen Rhythmus – mal vom Band kommend, hauptsächlich aber durch Klatschen, Anfeuerungsrufe und die Bewegungspatterns der Tänzer erzeugt – schließlich in einem Moment gemeinschaftlicher Ekstase gipfelt.
Leider wird an genau diesen Stellen das gemeinsame Moment der Ekstase aber plötzlich unterbrochen und durch langwierige stille Szenen, in denen die Tänzer zum Beispiel minutenlang mit erhobenen Armen das bemalte Tuch betrachten, abgelöst. Im Programmheft erklärt Jeremy Nedd, dass er genau den „Break“ in den Fokus stellen möchte. Da allerdings in diesen Momenten die Spannung durch die Tänzer nicht aufrechterhalten werden kann, verpufft die ekstatische Stimmung sehr schnell und mündet schlicht in große Leere.
Trotz der Schwere der letzten Szene, in denen die Tänzer die Leichtigkeit, Lockerheit und Freude in ihren Bewegungen verloren haben und sich verkrampft und krümmend, Grimmassen schneidend, am Boden wälzen oder starr nach vorne blicken, hat der Abend eine gewisse Leichtigkeit, die ihn vielleicht deshalb aber auch nicht besonders tiefgehend werden lässt. Gewiss sind die lebhaften Tanzpassagen höchst virtuos und durch das gemeinschaftliche Bewegen, Anfeuern und Erleben mitreißend, erzählt wird in „The Ecstatic“ jedoch beinahe nichts.
Man erfährt nichts Weiteres über die zugrundeliegende Kultur des Pantsula. Die Hintergründe und zwischenmenschlichen Beziehungen der Tänzer werden bis auf deren offenbar freundschaftliches Verhältnis miteinander nicht weiter thematisiert und die stillen Szenen, in denen nicht getanzt wird, bieten hauptsächlich Leere anstatt Raum für eine zweite Ebene. Tänzerisch ist „The Ecstatic“ sicherlich sehenswert, wofür das Team vom Publikum auch frenetisch gefeiert wird, für ein Festival für Theater und Performance ist das Stück aber zu eindimensional.
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