„songs of absence“ von Anna Konjetzky, Tanz: Hannah Schillinger, Amie Jammeh, Sahra Huby, Jin Lee, Quindell Orton, Sotiria Koutsopetrou

Das Phänomen der Unsichtbarkeit

Uraufführung von Anna Konjetzkys „Songs of Absence“ im Rahmen des Münchner Spielart-Festivals

Aus der Idee, mit dem Finger einmal richtig wild im Pfuhl der Wunden zu bohren, die Frauen zugefügt wurden und werden, geht in „Songs of Absence“ eine eindeutige Botschaft hervor: Wir lassen uns nicht bändigen!

München, 04/11/2023

Die äußere Hülle ist ein Album. Denn das knisternd schrille Bonbonpapier der Tanzuraufführung „Songs of Absence“ steckt voller Lyrics. Elf von zwölf Titeln hat Choreografin Anna Konjetzky selbst getextet. Starke Worte, gespickt mit Gedanken, die weiter hineinwirken in ihre – im Inneren – heftig bewegte Performance. In den „Songs“, die im eigentlichen Sinn oft gar keine sind, geht es um Stimmen: Stimmen von – darunter auch queeren – Frauen, die individuell Unterdrücktes, Verdrängtes und ihnen oberflächlich nicht Anzusehendes teilen, loswerden, ja hinausschreien wollen in ein szenisch hie und da farblos-krisseliges Universum. Dazu stehen im Gasteig, HP 8 (Saal X) von Anfang an zwei Mikros bereit in einem später filmtrickreif zu Kulissengängen umfunktionierten Halbrund-Panorama aus fünf beweglichen weißen Stellern.

Man hat eine Menge an beispielhaften persönlichen Bekenntnissen und Überlegungen zusammengetragen, die schon an sich mehr aussagen als das an einer Stelle inszenierte Schulterzucken. Mal wird etwas locker nebenbei beim Verspeisen eines Schokoriegels („der kommt aus Ghana“) angesprochen oder gestisch untermalt in Gruppentableaus skandiert. Neu ist das keineswegs. Emotional steigert sich das Ganze zu einer zunehmend erregten Aufzählung, die in einem Schluckauf aus bloß noch einzeln hervorgestoßenen Vokalen gipfelt. Immer wieder bleiben den sieben Tänzerinnen Worte im Hals stecken. Oder die Sätze versacken im Übergang zu einer anderen Aktion.

Flüssig wie ein dahinrollender Würfel mutet im Kontrast dazu ein Trio an, bei dem sich durch berührende Arme und Beine jeweils einer der Tänzerinnen immer neue Möglichkeiten bieten, darunter hindurch zu rutschen oder von oben hinein abzutauchen. Stille, choreografisch ausgefeilte Passagen steuern eine wichtige abstrakte Ebene bei. Wenn jemand unter der grobkörnig weiß-grau-schwarz verpixelten Projektion über drei komplett weiß gekleidete Körper hinwegturnt, ist das nur schemenhaft zu erkennen. Das Phänomen von Unsichtbarkeit und Abwesendem wird so deutlich gemacht.

Findige Wortstaffelungen – mit unter anderem einer provokativen Adjektiv-Skala von „playfull“ bis zu „painfull“ – durchziehen das im Rahmen des diesjährigen Spielart-Festivals erstmals aufgeführte Stück bis zum Schluss. Da stehen dann alle fein säuberlich aufgereiht für ein letztes finales Wort Seite an Seite. „Sorry“ plärren sie durch den Raum. Eigentlich total irrational. Wären da nicht diese Visagen, deren subtile Verwandlung eines Lachens zum Heulen wiederholt die gesamte Kopfreihe durchzieht.

Die Kunst des Spielens mit Inhalt und Form beherrscht Anna Konjetzky gut. Doch der Choreografin, die seit mittlerweile 18 Jahren regelmäßig von einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung geprägte Tanzstücke in München und weltweit auf die Bühne bringt, geht es niemals bloß um das Formale. Zu groß scheint ihre schier unstillbare Lust zu sein, ein Publikum impulsiv-thematisch zu vereinnahmen. Und genau das gelingt Konjetzky dank ihrer famosen Protagonistinnen Sahra Huby, Amie Jammeh, Sotiria Koutsopetrou, Jin Lee, Quindell Orton, Martha Pasakopoulou und Hannah Schillinger – im Positiven wie im Negativen.

Das ungemütlich Laute muss man ertragen, Sergei Maingardts partiell auf Krawall mit Demo-Charakter gebürstete Soundbeschallung aushalten. Wie famos hier eine still gehaltene E-Gitarre durch Schläge, rasante Moves, weit ausholende Tritte, eine vibrierende Schulterpartie und gegen die Saiten geworfene Haare der Tänzerinnen zum Klingen gebracht wird, eignet sich bestens, in Verzückung zu geraten. Zwischen schrägen Power-Beats, elektroakustischem Radio-Rauschen oder hallendem „Aus-der Ferne“-Effekten berühren stille, rein choreografische Passagen – flankiert von kleinen tragbaren bunt flackernden Scheinwerfern – den Zuschauer umso mehr.

Konjetzky treibt ihr Spiel im besten Fall so weit, dass ihr Mitteilungsdrang und die Stückstruktur sich nicht nur gegenseitig bedingen, sondern untrennbar miteinander verflochten sind. Aus der Idee, mit dem Finger einmal richtig wild im Pfuhl der Wunden zu bohren, die Frauen zugefügt wurden und werden, geht in „Songs of Absence“ eine eindeutige Botschaft hervor: Wir lassen uns nicht bändigen! Ein nach wie vor wichtiges Statement, das hier weniger feministische Drohung als eindringliche Beschwörung ist.

Die nächsten Vorstellungen sind für den 14. und 15. März 2024 in Salzburg (ARGEkultur) geplant.

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