Ballett der Elementarteilchen

Anna Konjetzky zeigt in „fleck.schwinden“ skurrile Einblicke in die Natur

München, 01/03/2011

Alles fließt. Letztes Jahr stellten französische Forscher sogar fest, dass sich das Eisen im Mittelpunkt der Erde immerfort von West nach Ost um sich selbst herum stülpt, der Erdkern sich also laufend selbst erneuert. Auch dass sich Gebirge und Ozeane verändern, wird uns Menschen zunehmend bewusster. Anna Konjetzky greift also ein uraltes, aber trotzdem topaktuelles Thema auf, wenn sie ihr neues Stück „fleck.schwinden“ der Natur widmet.

Gelungen ist dabei auf jeden Fall die Perspektive. In der Black Box im Gasteig (und eigentlich nur dort; das Stück dürfte sich schwer verkaufen) können die Zuschauer die Aktionen der vier Tänzer aus der Vogelsicht verfolgen. Ein reizvoller Effekt! Die Gravitation wendet alles um 90 Grad, Unten und Oben werden zu fern und nah. Arm- und Beinbewegungen wirken viel ausladender und bekunden endlich die Anstrengungen, die Tanz eigentlich bereitet. Auch Pas de Quatre und Solo, Zusammen- und Getrenntsein offenbaren ihre Bedeutung hier einmal durch konkret sichtbare Entfernungen. Alles wirbelt, rollt, fließt und klebt zuletzt doch wieder ordentlich zusammen, wie die Elektronen in einem Molekül.

Trotzdem ist der Ansatz auch eine Herausforderung. Denn wenn Tanz Natur darstellt (er ist ja eigentlich ihr Gegenteil), droht das Unterfangen leicht, als Eurythmieübung zu versanden. „Seid jetzt bitte radioaktive Teilchen“, könnte die Aufgabe gelautet haben, oder „sinkt auf der Schräge herunter wie Schneckenschleim.“ Sarah Huby, Katrin Schafitel, Elis Marschall und René Mateus erledigen das zweifellos mit aller Brillanz. Sie imitieren chaotische Bewegungsabläufe, die letztlich doch einem geheimen, großen Prinzip zu folgen scheinen. Dennoch wirken sie nicht annähernd so erbaulich wie Fischschwärme im Aquarium, oder wie ziehende Wolkenbänke. Das liegt zum einen an den elektronischen Klangcollagen, die das Ganze begleiten. Sie wirken so gar nicht natürlich, verkörpern eher eine mediengesteuerte Wahrnehmung von Natur. Zum anderen stellt sich angesichts ziellos wuselnder Körper die Frage nach dem Sinn. Warum etwas nachahmen, was jeder in Menschenmengen oder im Wasserglas viel perfekter erleben kann? Witzigerweise hat Konjetzky die Studie sogar in einen Prolog, einen schwarzen und einen weißen Akt unterteilt. Den unergründlichen Fluss der Natur als Ballett zu begreifen – das ist dann doch wieder eine Überlegung wert. Und, wie schon erwähnt, ein Erlebnis für Vogelblicke.

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