„Game Changer“ von Birute Letukaites Aura Dance Theatre

„Game Changer“ von Birute Letukaites Aura Dance Theatre

In Chemnitz tanzte die Welt

Das Festival „Tanz I Moderne I Tanz“ in Chemnitz

An fünf bewegenden und bewegten Tagen waren ChoreografInnen aus der ganzen Welt zu Gast in der sächsischen Stadt.

Chemnitz, 27/06/2019

Von Peggy Fritzsche

Ausgerechnet in Chemnitz. In einer Stadt, die im vergangenen Jahr durch fremdenfeindliche Ausschreitungen und Demonstrationen in die Weltöffentlichkeit rückte. Ausgerechnet hier tanzte nun die Welt. „#Minarett“ hieß das Eröffnungsstück des Festivals „Tanz I Moderne I Tanz“.

Am 24. April 2013 stürzte es ein: Das jahrtausendealte Minarett der Umayyaden-Moschee in Aleppo zerfiel im Bürgerkrieg zu Schutt und Asche. So wie dieses Minarett einst die Seele der syrischen Stadt spiegelte, bewegten nun Tänzer aus dem arabischen Raum, vor allem aus dem Libanon, die Seelen der Besucher des Chemnitzer Theaters. Sie tanzten gegen die gnadenlose Vernichtung von Kulturerbstücken, urbanen Schätzen und den Bruch des Religionsfriedens an. Was passiert mit Geschichte, Kultur und Glauben, wenn Menschen dem Verlust ihrer Identität und Herkunft wehrlos gegenüber stehen? Es war ein schonungsloser Einstieg ins Festival, den der erfolgreichste Choreograf des arabischen Raums, Omar Rajeh, mit seinem Maqamat Dance Theatre auf die Bühne brachte. Schonungslos hart, wenn Drohnen über TänzerInnen und Publikum surren. Verstörend schonungslos schön, wie der Tanz Gefühl und Gewalt, Unterdrückung und Aufbruch zur intensiven Atmosphäre verwob.

Mal made in Chemnitz, mal made in Mali: Das Festival „Tanz I Moderne I Tanz“ ließ aufhorchen. Fünf Tage lang tanzten Menschen mit Wurzeln vom südlichen Afrika bis ins hohe Baltikum für ein erlebnishungriges Publikum. Vor den Vorstellungen knisterte die Spannung, nach den Vorstellungen juckten die Hände – Klatschsinfonien und Stehapplaus geschuldet. Mit Hingabe, Qualitätsstrenge und Herzenskraft organisierte die Direktorin des Chemnitzer Balletts, Sabrina Sadowska, dieses alljährliche Treffen. Die besten Kompanien der Welt reisten dazu in die Stadt.

Interkulturelles Entgegenkommen und ein Raum zum Experimentieren: Unter dem Titel „Signifying Ghosts“ eröffnete die CocoonDance Company einen Blick darauf, wie Europa und Afrika einander begegnen können. Lichtkreaturen; das Echo der Bewegung; Zellen, Glieder, die Körpergebilde zeichnen: In Halbstündern verknüpften drei ChoreografInnen ihre Ideen, brachten Hybride aus Tanz und Video oder den Treff zweier Tänzer auf die Bühne. Emilius Miliauskas, seit 2011 am Chemnitzer Ballett engagiert, setzte ein Heim- als Kontrast zu den Gastspielen: Er verwandelte den intimen Probensaal ins Pan‘sche Nimmerland, ließ fünf seiner Kollegen schnurren und schmieren, kriechen und klettern. Korsett und Konventionen, Leidenschaft und Liebe, Zurückweisung und Zuneigung holte er aufs schwingende Probenparkett.

Kaori Ito, eine japanische Choreografin mit Lebensmittelpunkt in Frankreich, führte einen „Wachtraum“ auf. Das Leben im Jetzt, die Formbarkeit junger Körper, die Verletzlichkeit jedes Einzelnen stellte sie ins Zentrum. Und ihre TänzerInnen? Die slapstickten, trauerten, bockten, kicherten, machten auf sexy. So wurde der Tanz zum Theater, die TänzerInnen bekamen eine Stimme.

Die Abschlussvorstellung vollführte Biruté Letukaités Kompanie Aura Dance Theatre. Das Ensemble aus Litauen zückte zunächst im Schachbrettmieder über Reifröcken die Leuchtschwerter, warf dann Strenge und Gefangenschaft über Bord. Die Mieder barsten und ließen quietschbunte Beachboys und -girls frei: Erst Trippelschritt, dann Freudenpirouette. Mit dem Fahrrad, vor der Kirche, neben Pinguinen aus Bronze: Eine ganze Stadt wurde für das Festival zur Bühne. Und die Chemnitzer Straße wieder frei gegeben für Demonstrationen – international diesmal. Fröhlich. Und mit Kultur.
 

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