Tänzerisches Filmpoem über Karriere, Liebe und Menschlichkeit
„Yuli“ setzt Carlos Acostas Autobiografie in packende Bilder
Carlos Acosta hat die Seite gewechselt. Der 44-jährige gebürtige Kubaner, bis zum vorigen Jahr Erster Solist des Royal Ballet London, hat in seiner Heimat eine eigene Truppe nebst angegliederter Akademie gegründet und stellt sie nun als „Acosta Danza“ mit fünf Kurzchoreografien unter dem naheliegenden Titel „Debut“ auf einer internationalen Tournée vor. Die Deutschland-Premiere ging zur Saisoneröffnung der Internationalen Tanzwochen Neuss in der praktisch ausverkauften, riesigen Stadthalle mit viel Applaus über die Bühne.
Im Vorfeld umriss der heute 44-jährige Salsa- und Son-Fan die Pflege der heimatlichen Kultur als sein Ziel. Aber die Sorge mancher Zuschauer vor einem reinen Folklore-Programm war unbegründet. Von Neoklassik bis Streetdance war alles dabei. Denn der politisch umstrittene, aber touristisch beliebte Karibikstaat mischt spätestens seit der Revolution von 1959 auch kulturell auf der Weltbühne mit. Zwar wird auch heute noch der in der Kolonialzeit entstandene Mix aus afrikanischen und spanischen Rhythmen und Klängen kultiviert. Aber es schießen auch Schulen und Akademien aus dem Boden, die Ballett und zeitgenössische Bühnentanztechniken lehren und eher elitäre „neue Konzertmusik“ bevorzugen. Der Staat fördert großzügig, was dem Tourismus und dem Image der Insel zugutekommt. Da setzt sich ein international gefeierter Ballettstar wie Acosta sozusagen ins gemachte Nest - jedenfalls, was Finanzen und Starthilfe betrifft.
Schützenhilfe kommt auch aus Europa: so zeichnen Sadler's Wells und das Festspielhaus St. Pölten als Co-Produzenten für „Debut“ verantwortlich. Zwei Choreografen beteiligen sich mit neuen Stücken. Kein Geringerer als Sidi Larbi Cherkaoui konzipierte das Duett für Carlos Acosta und Marta Ortega „Mermaid“ auf Musik des Dadaisten Eric Satie. Ein Paar möchte sich eigentlich nur ein gemütliches Tête-à-Tête bei einem Gläschen Wein machen. Aber die Frau im flammend roten Kleid ist schon „hinüber“, als der Galan auftaucht... brilliant getanzt von Ortega, kaum mehr als ein klassisch „assistierender“ Prinz ist Acosta. Da wird er sich noch ein bisschen mehr einfallen lassen müssen.
Nürnbergs Ballettchef Goyo Montero - zwar gebürtiger Spanier, aber in Kuba ausgebildet - steuert zu Rezitationen und Liedern des Kubaners Silvio Rodriguez die diffus nebulöse, düstere, aber fetzige Gruppenchoreografie „Imponderable“ (Unwägbar) bei. Darin atmet so viel mehr Heute als in den reichlich biederen, wenn auch charmant getanzten neoklassischen „Belles Lettres“ für vier Paare und einen Solisten (Mario Sergio Eliás) von dem Amerikaner Justin Peck.
Mit Kammermusik von Olivier Messiaen unterlegte die Kubanerin Marianela Boan ihr Männer-Duett „El cruce sobre El Niágara“. 1987 entstanden nach der Schilderung der Überquerung der Niagarafälle auf einem Drahtseil, erinnert die Choreografie in ihrer muskulösen Körperlichkeit und Slowmotion-Technik an die hochästhetischen Kreationen des japanischen Paares Eiko + Koma. Carlos Luis Blanco und Alejandro Silva meisterten den akrobatischen Akt mit absoluter Konzentration und Sicherheit.
Im Finale geht die Post so richtig ab. „Twelve“ (Zwölf) von Jorge Crecis ist Streedance pur - eine ausgelassene artistische Nummer für ein Dutzend Tänzer und ungefähr doppelt so viele Plastikflaschen, die mit Wasser gefüllt und mit Leuchtmittel versetzt sind.
Die fünf Choreografien sind ein unterhaltsamer Mix nach bewährtem Strickmuster von Tournée-Truppen. Eine „Revolution“ bietet Acosta also ebenso wenig wie der im internationalen Festivalbetrieb längst etablierte kubanische Rivale „Ballet Revolución“ - der seine Gründung im Jahr der kubanischen Revolution für seinen Namen benutzt (um nicht zu sagen irreführend vereinnahmt).
Vorbild Acostas, wie vieler anderer, ist noch immer Alvin Ailey. Unerreicht bisher.
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