Aus dem Vollen geschöpft

La Fura dels Baus inszeniert Haydns „Die Schöpfung“ in der Hamburger Elbphilharmonie beim Festival „Theater der Welt“

Ein großes Bühnenspektakel, das in der Elbphilharmonie leider nicht auf die besten Bedingungen trifft.

Hamburg, 13/06/2017

Wenn das „Theater der Welt“ zum ersten Mal seit 1989 wieder in der Hansestadt stattfindet (wo es 1979 durch den damaligen Schauspielhaus-Intendanten Ivan Nagel gegründet wurde), ist das ein willkommener Anlass, bei tanznetz über eines der Highlights zu berichten, auch wenn der Tanz darin keine explizite Rolle spielt. Und ein, wenn nicht DAS Highlight unter den 44 internationalen Produktionen des Hauptprogramms, die zwischen dem 25. Mai und dem 11. Juni von insgesamt 32.000 Besuchern gesehen wurden, war dieses Spektakel ganz sicherlich: Josef Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ in der Inszenierung von La Fura dels Baus in der Elbphilharmonie, die sowohl für das Gesamtkonzept verantwortlich zeichneten wie auch für Bühne, Kostüme, Choreografie, Licht und Video. Und subkutan tänzerisch war das Ganze dann eben doch.

Die katalanischen Performance-Revoluzzer hatten schon vor rund 30 Jahren die Hamburger Kulturszene aufgemischt, als sie anlässlich des Sommertheater-Festivals die damals noch sehr rohe und ungezähmte Kampnagel-Fabrik bespielten, und zwar mit einer Performance, bei der es sehr wild (von Kränen hängende und auf allerlei Fabrikgedöns balancierende Menschen und diverse Requisiten), sehr schmutzig (zerplatzende Mehl- und Farbpulver-Säcke!) und sehr laut (mit Vorschlaghämmern zertrümmerte Autos!) zuging. Seither hat die Truppe international Karriere gemacht – u.a. gestaltete sie 1992 die Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Barcelona, 2007-2009 Wagners „Ring des Nibelungen“-Zyklus mit Zubin Mehta als Dirigent in Valencia, 2010 Wagners „Tannhäuser“ an der Mailänder Scala, auch das spektakuläre Finale in Tom Tykwers Film „Das Parfum“ geht auf ihr Konto.

Nun also die „Schöpfung“, dieses Oratorium von der Erschaffung des Universums, des Lebens und des Menschen, ein Klassiker, noch dazu spirituellen Inhalts. Konnte das gut gehen? Um es vorwegzunehmen: Es ging mehr als gut. Aber es hatte einen gravierenden Schönheitsfehler, der nicht La Fura dels Baus anzulasten ist, sondern eher den Machern des Festivals. Denn wo die Katalanen Hand anlegen, sind Superlative garantiert, beim Spektakel selbst wie auch bei den Kosten für all die technischen Finessen, das Bühnenbild, die Kostüme. Und so kam die Elbphilharmonie mit ins Boot, Hamburgs kultureller Hotspot, der ein volles Haus garantiert und auch liquide genug ist. Und so entstand das Ganze dann als Koproduktion des „Theater der Welt“ mit dem Insula Orchestra, den Ludwigsburger Schlossfestspielen, La Fura dels Baus und eben der Elbphilharmonie.

Deren Großer Saal mit seiner Weinberganordnung war allerdings der denkbar ungünstigste und unpassendste Ort in ganz Hamburg dafür. So eine Produktion muss sich ja vielen Spielstätten anpassen können – also macht man sie in der traditionellen Guckkasten-Optik. Und die funktioniert in der Elbphilharmonie einfach nicht. Dann muss man nämlich einen Gutteil des Raumes abtrennen – schlicht deshalb, weil man von hinten nichts sieht. Was hier bedeutete, dass gut ein Drittel der Plätze entfiel. In diesem Fall waren aber sogar die seitlich gelegenen Plätze höchst problematisch. Denn die gesamte Inszenierung ist komplett „en face“ orientiert, man muss sie wirklich direkt von vorne sehen, wenn man erfassen möchte, was La Fura dels Baus da überhaupt gemacht hat. Von der Seite (wo auch die Rezensentin platziert war) sieht man nur einen Bruchteil, auch ist die auf vier verschiebbare Vorhänge projizierte Schrift nicht lesbar, der Blick auf das Bühnengeschehen wird häufig von zahllosen Helium-Ballons verdeckt, und auch ansonsten bleibt der Gesamteindruck höchst unvollständig. Man hat zwar weidlich Gelegenheit, den Sängern beim Umziehen auf der Bühne zuzuschauen, das Geschehen an der nicht einsehbaren Bühnenfront geht derweil munter weiter.

Dabei hatte das „Theater der Welt“ durchaus einen Spielort, an dem La Fura dels Baus ihre helle Freude gehabt hätten. Der alte Kakaospeicher auf dem Baakenhöft mitten im Hafen hat alles zu bieten, was das Performer-Herz höherschlagen lässt und notwendig ist, um Kreativität zu entwickeln: Platz, Platz, Platz, und ein rohes Hallen-Ambiente. Warum man die Gelegenheit ungenutzt ließ, die „Schöpfung“ in diese Umgebung einzubetten, bleibt ein Rätsel.

Wer allerdings in den Genuss kam, das Ganze von vorne zu betrachten, konnte seine helle Freude haben an dieser Inszenierung. In den Mittelpunkt des Geschehens hatte Carlus Padrissa, Gründungsmitglied von La Fura dels Baus und einer der sechs Regisseure der Kompanie, einen Schwenkkran platziert, an dem die Sänger immer mal wieder hinaufschwebten oder herabgelassen wurden – gut, dass sie offenbar schwindelfrei waren, denn auch noch in zehn Meter Höhe strömten die Arien fehlerfrei und gefühlvoll aus den Kehlen. Das Gegengewicht für den Kranarm bestand in einem überdimensionalen Aquarium, in das die Sänger – noch so eine Herausforderung! – immer mal wieder blubbernd ein- und auftauchen mussten. Die drei Solisten meisterten alle Raffinessen der Regie souverän. Die Koreanerin Sunhae Im (Sopran) als Gabriel/Eva, Martin Mitterrutzner (Tenor) als Uriel und Daniel Schmutzhard (Bariton) als Raphael/Adam.

Die Video-Projektionen (zu denen nicht viel gesagt werden kann, weil sie von der Seite eben nicht einsehbar waren, einen gewissen Eindruck vermitteln jedoch die Fotos) wurden auf vier fahrbare weiße Prospekte gebeamt, die sich mal zu einer einheitlichen Wand gruppierten, dann wieder einzeln vor- oder zurückgeschoben wurden und so die Bühne unterteilten.

Der sehr differenziert intonierende Kammerchor Accentus trat im Habitus von Flüchtlingen auf – eine deutliche Reminiszenz an die aktuelle politische Situation. Jeder der Chorsänger hielt einen weißen Helium-Ballon mit in der Länge verstellbaren Schnüren in der Hand, die mal am Boden blieben, mal in wechselnde Höhen schossen, sowie ein Tablet, das sich trefflich multifunktional einsetzen ließ. Höchst eindrucksvoll auch die Kostüme der Solisten: Aufgebauschte, voluminöse Gewänder mit eingebauten Lichterketten und phantasievollem Kopfschmuck. Das Orchester unter der kundigen Leitung seiner Dirigentin Laurence Equilbey spielte stilsicher und präzise, obwohl es vor die Bühne in die abgebauten ersten sechs Stuhlreihen des Mittelblocks gequetscht war.

All inclusive hatte dieses Spektakel dann eben doch etwas sehr Tänzerisches: Das feine Spiel der Musiker, das durchchoreografierte Auftreten der Gesangssolisten und des Chores und ebenso das Ineinandergleiten der Projektionen und Farben, das schwingende Miteinander von Sängern und Orchester. Das möchte man dann gerne noch einmal erleben – aber dann wirklich von vorne bitte, frontal, volle Dröhnung!

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern