„Polyphonia“ von Christopher Wheeldon: Laura Hecquet, Audric Bezard

„Polyphonia“ von Christopher Wheeldon: Laura Hecquet, Audric Bezard

Zu Ehren von Pierre Boulez

„Wheeldon/McGregor/Bausch“ in Paris

Es funkelt, knackt und knistert im ehrwürdigen Palais Garnier.

Paris, 11/12/2015

Es funkelt, knackt und knistert im ehrwürdigen Palais Garnier. Wayne McGregor lässt bei „Alea Sands“, seiner dritten Choreografie für das Ballett der Pariser Oper, erstmal den Installationskünstler Haroon Mirza zaubern. Der schickt elektrisches Kabelknistern durch die Surroundanlage und macht die Diamantlampen rings um Chagalls farbenprächtiges Deckengemälde flackern. Durch die wechselnde Beleuchtung sieht das dann aus, als ob sich diese Edelsteine bewegten. Dann erst dürfen die Tänzer in hautfarbenen Trikots mit schwarzem Blitzmuster auf der leeren Bühne übernehmen. Ihre Bewegungen sind kantig, manchmal ruckartig, greifen maschinell ineinander, wenn sich die Partner die Hand reichen zum Aufstehen oder Heben, da ist durchaus Geschmeidigkeit, allerdings nicht menschlich-weich, sondern technisch-kühl.

Ein kleiner kreisender Funke ist auf der Bühne Abglanz des großen Lichtspiels am Himmel. Später wird er Kreise und ganze Lichtknäuel schreiben. Dazu erklingt nun „Anthèmes 2“ von Pierre Boulez, ein Stück aus der elektroexperimentellen Phase des großen Avantgardisten und daher geschrieben für Violine solo und Elektronik aus dem von Boulez gegründeten IRCAM. Hae-Sun Kang geigt das zauberhaft im leeren Orchestergraben, und der Klang wird surround geschickt, begegnet zeitversetzt ihrem Livespiel wieder, eine packende Klangerfahrung. Die Bewegungen der in Paaren und Kleingruppen sortierten sieben Tänzer scheinen manchmal so sprunghaft wie der Geigenbogen, flirrend in den Armen und in Drehungen. Manchmal flippen nur die Finger, wenn mal will wie elektronische Blitze. Manchmal fahren die Hände am Körper entlang, wie um aus der Reibung Energie zu holen. Aber schnuppert da nicht einer den Frauenarm hoch? Das Technisch-Maschinelle scheint wieder am Archaischen anzuknüpfen, vielleicht weil beides frei von den romantischen Substraten der Kultur ist. McGregor ist mit diesen Monaden jedenfalls in seinem Element und liefert zu Boulez‛ 90. Geburtstag ein Raum-Klang-Bewegungsspiel, das ihm gefallen müsste.

In die archaischen Spiele zwischen Mann und Frau konnte man hinterher in Pina Bauschs Fassung des von Boulez verehrten „Sacre du Printemps“ nochmal einsteigen. Alice Renavand packt hier als selbstbewusst ihren Trieben folgende Frau, kein Opfer, und den ausgestreckten Armen des bereitliegenden Mannes lange widerstehend, sich am Ende auch nur räumlich versetzt quasi virtuell in sie werfend: Männer und Frauen, ein Missverständnis, selbst wenn sie das Gleiche tun.

Der erste Teil des Pariser Dreiers war dagegen Christopher Wheeldons interesselos sauberen neoklassischen Paartänzchen seiner „Polyphonia“ auf Musik Ligetis vorbehalten. Von Entrechats bis Pirouetten alles perfekt, aber kaum einer wagt auch mal ein Lächeln. Doch nur Spaß und Ironie könnten diesen Exercisen aufhelfen, schließlich zerlegt auch Wheeldon die Figuren mehr und mehr, so dass die Tänzerin kopfüber auf dem Rücken des Partners ihre Beine wie Engelsflügel schwingen kann. Wheeldon habe angeblich „ein romantisches Ballett mit zeitgenössischeren Beziehungen zwischen den Paaren“ angestrebt, genau das blieb hier unter kühler Perfektion verborgen.

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