Ein Blick durchs Kaleidoskop
Die Trisha Brown Company im Kunstbau des Lenbachhaus München
In der Akademie der Künste am Hanseatenweg nahm 1976 etwas seinen Anfang. Einen verständnislosen Anfang, folgt man den Pressestimmen von einst. Das Westberliner Publikum sei damals noch nicht bereit gewesen für eine Begegnung mit Trisha Brown, so die heutige Diagnose. Die 1970 gegründete Kompanie, deren Auflösung damals unmittelbar bevor stand, führte in Berlin ausgewählte Stücke aus dem Oeuvre der US-amerikanischen Choreografin auf. Das Jahr 1976 markiert hierbei den Anfang einer Begegnung mit einem choreografischen Schaffen, das sowohl den tanzenden, als auch den zuschauenden Körper stetig in seiner Auffassungsgabe herausforderte.
2015 ist das Berliner Publikum mehr als bereit für eine solche Begegnung. Zum Auftakt der viertägigen Abschiedsreihe wartet ein gefüllter Saal andächtig auf die Öffnung des Vorhangs. Gezeigt werden die Choreografien „Son of Gone Fishin'“, „Solo Olos“ (1976, Auszug aus „Line Up“), „Rogues“ (2011) und „Present Tense“ (2014, in einer Rekonstruktion von 2003). Das Rahmenprogramm bietet zudem über Videopräsentationen im Foyer einen Einblick in weitere Arbeiten der Trisha Brown, lädt zu einem Gespräch über die Entwicklungen und Wirkungen der Choreografin und eröffnet die Möglichkeit von Masterclasses für professionelle TänzerInnen. Die Akademie der Künste ist sich angesichts dessen der Verantwortung gegenüber eines solchen Erbes bewusst. Ob es sich bei jener Auswahl um Schlüsselwerke und authentische Begegnungen handelt, wie den Ankündigungen zu entnehmen, darüber lässt sich unbedingt debattieren. Ein (postmoderner) Geist soll an diesen Abenden vermittelt werden, der, denkt man die stetige Beschwörung des Abschieds im Programm konsequent weiter, seine Zeit wohl gehabt hat.
Der Gestus des Einfangens, Aufsaugens, Festhaltens lässt sich in der Begegnung mit dem Bühnenwerk wohl endgültig kaum mehr verdrängen. Der Vorhang öffnet sich und zur taktgebenden Musik von Robert Ashley spinnt sich ein kontinuierlich wachsendes Netz an Bewegungen auf, die einem breiten und immer weiter verästelndem Regelwerk an Strukturen folgen. Gleich einem Metronom bleiben die TänzerInnen unaufhörlich in Bewegung. So unvorhersehbar jene regelbasierte Bewegungskomposition in „Son of Gone Fishin'“ für den Zuschauenden anmuten mag, so berechenbar wirkt sie wohl zugleich auf die Performenden. Lediglich die verschieden goldschimmernden Kostüme von Judith Shea markieren hier eine Ästhetik, wie sie wohl ausschließlich den 1980ern vorbehalten war. Einer derart klar gesetzten Struktur folgt ebenso der gesamte Abend: Der Vorhang öffnet und schließt nach jedem einzelnen Stück, Kostüme werden gewechselt, das Licht der Scheinwerfer scheint abgestimmt auf die Verbeugungen der TänzerInnen. Eine Pause trennt die vier Choreografien paarweise voneinander – die Rekonstruktion von „Present Tense“ ist dabei programmatisch ans Ende des Abends gesetzt. So kalkuliert die Dramaturgie des Abends auch gesetzt sein mag, die choreografischen Regeln der Trisha Brown stecken demgegenüber lediglich einen klaren Raum ab, einen Rahmen, in dem sich der Tanz entwickeln und damit einen tänzerischen Raum schaffen kann. In „Solo Olos“ beispielsweise folgen die TänzerInnen der Logik eines Gitters, das Linien im Raum bildet und sich zugleich mit jeder Ortsveränderung eines Körpers wieder verschiebt. Daneben reagieren sie auf die Anweisungen eines im Zuschauerraum sitzenden Tänzers. Die derart choreografisch gesetzte Struktur, die Improvisation innerhalb jener Struktur sowie die Notwendigkeit der unmittelbaren Reaktion auf die verbalen Anweisungen markieren diese Arbeit. Hier vermittelt sich dem Publikum die choreografische Logik einer Trisha Brown faszinierend transparent.
Was bleibt jedoch von einem solchen Abend, einer solchen Begegnung? Vielmehr als die in der Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Trisha Brown wiederholt attestierten harten Brüche innerhalb ihres Schaffens, eröffnet sich in eben jener Auswahl an gezeigten Choreografien die Kontinuität einer choreografischen Handschrift. Vielmehr als den Verlust in der Begegnung, schafft jener Abend in erster Linie die Erfahrung an vorhangtechnisch klar abgetrennten Zeitfenstern. Eine für viele der Zuschauenden letzte, erste Begegnung, die über die Spur eines Erinnerungsfragments hinaus (Zeit)Geister heraufbeschwört und darin das Potenzial in sich birgt, in eine noch ungewisse Zukunft zu weisen.
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