Tanz-Besuch der alten Damen

Mit Deborah Hay und Trisha Brown präsentiert Tanz im August zwei Pionierinnen des „postmodern dance”

Berlin, 28/08/2008

Wenn bei der Jubiläumsausgabe von Tanz im August durchschnittlich begabte Jungkünstler mit Sexspielzeug hantieren oder sich öffentlich Eigenblut abzapfen müssen, um ein wenig Farbe in das blässliche Programm zu bringen, können zwei Damen im vorgerückten Alter darüber nur milde lächeln: Deborah Hay (67) und Trisha Brown (72) gehörten bereits zur Avantgarde, als der Großteil der anderen Festivalteilnehmer noch nicht einmal geboren war. Und, was wesentlich schwerer wiegt: Beide haben die Grundlagen des Tanzes revolutioniert, anstatt nur an seiner spektakulären Oberfläche zu kratzen.

Vor mehr als 45 Jahren hatte sich in der New Yorker Judson Church ein bunter Haufen bildender Künstler, Komponisten und Tänzer zusammengefunden, um gemeinsam mit neuen Formen von Zusammenarbeit und choreografischer Komposition zu experimentieren. Enttäuscht von der Doktrin des Modern Dance, die sich immer mehr darin erschöpfte, antike Mythen und psychologische Dramen in rigiden Schemata von Thema und Variation zu behandeln, suchten sie nach Möglichkeiten, den Tanz von den Fesseln von Psychologie, leerer Virtuosität und der Konvention der Guckkastenbühne zu befreien. Inspiriert von den Zufallskompositionen eines John Cage machten sie mathematische Gleichungen zur Grundlage ihrer Versuche, erforschten Alltagsbewegungen und brachten all das auf den Tanzboden, was dort bislang nichts zu suchen hatte. Nach dem Verständnis dieser offenen Künstlergruppe, die alsbald den kunsthistorischen Stempel „postmodern dance” aufgedrückt bekam, war alles Tanz, was als solcher präsentiert wurde – auch scheinbar banale Handlungen wie Fallen, Gehen oder die Benutzung eines Föns.

Nach mehreren Jahren des kollektiven Experimentierens gingen die beteiligten Künstler eigene Wege: Deborah Hay, ein Judson-Mitglied der ersten Stunde, zog in eine Kommune im ländlichen Vermont und erarbeitete dort mit Amateuren sogenannte „Circle Dances”, in deren Mittelpunkt das Erleben einer Gruppe ohne Hierarchien stand. Trisha Brown blieb in New York, experimentierte mit bühnenfernen Räumen, ließ in „Roof piece” Tänzergesten von Wolkenkratzerspitze zu Wolkenkratzerspitze weitergeben und entwickelte unter Zuhilfenahme von Körpertechniken wie Release und Body-Mind-Centering eine Bewegungssprache, die die Welt zuvor nicht gesehen hatte. In Tänzen wie „Locus” befreite sie die Wirbelsäule der Interpreten von aller klassischen Starrheit und öffnete den Körper für ein freies Strömen der Bewegung.
Ihr charakteristischer Stil, der Körper nach komplexen mathematischen Formeln durch den Raum fließen ließ, als zerfielen sie in von unsichtbaren Strömen davongetragene Partikel, machte Trisha Brown schnell zu einer der prominentesten Vertreterinnen des „postmodern dance”. 1970 gründete sie ihre eigene Company, aus der später eine ganze Generation junger Choreografen hervorgehen sollte.

Während Deborah Hay sich in ihrer Arbeit zunehmend auf die spirituellen Aspekte der Tanzerfahrung konzentrierte – nicht umsonst trägt eines ihrer autobiografischen Bücher den schönen Titel „My body the buddhist” – und aus monatelangen Gruppenworkshops intime Solostücke für sich selbst kondensierte, zog es ihre berühmtere Kollegin seit Anfang der 80er-Jahre auf die großen Bühnen dieser Welt. Gemeinsam mit dem Maler Robert Rauschenberg, einem alten Mitstreiter aus Judson Church-Tagen, fand Brown Mittel und Wege, die eingefahrenen Seh- und Darstellungsmöglichkeiten des Theaterapparats subversiv zu untergraben. Sie überforderte die Zuschauer durch das ständige Verschieben der Sichtachsen, ließ auch mal mitten während der Vorstellung den Vorhang fallen und leistete sich 1994 in ihrem Solo „If you couldn’t see me” den Tabubruch, 20 Minuten lang mit dem Rücken zum Publikum zu tanzen.

An den nächsten beiden Tagen zeigt die Trisha Brown Dance Company einen Querschnitt durch das Werk ihrer Meisterin. Deborah Hay, die seit ihrer Zusammenarbeit mit dem Startänzer Michail Baryshnikov in Jahr 2001 wieder zurück im Rampenlicht ist, präsentiert mit „If I sing to you” eine brandneue Choreographie für fünf Tänzerinnen.
Beide dürften jedoch über das Treiben der jüngeren Kollegen bestürzt sein, die es sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen - wieder genau dort bequem gemacht haben, wo die Judson Church in den 60er-Jahren aufgebrochen war: Im Verharren in der tänzerischen Konvention.
Trisha Brown Dance Company: heute, 20 Uhr, Hebbel am Ufer (HAU 1), Stresemannstr. 29, Kreuzberg. Tel. 259 004 Deborah Hay „If I sing to you”: heute und morgen, 20 Uhr, Hebbel am Ufer (HAU 2), Tempelhofer Ufer 10, Kreuzberg. www.tanzimaugust.de

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