Grande-Dame des Deutschen Tanztheaters
Reinhild Hoffmann feiert ihren 80. Geburtstag
Ken Keseys Roman gilt als eine Parabel über die Mechanismen totalitärer Gesellschaften. Er konfrontiert seine Leserschaft mit einem ebenso komischen wie erbarmungslosen System von Überwachung und Strafe. Kesey traf damals, Anfang der 1960er Jahre, den Zeitgeist der amerikanischen Gegenkultur; es war die Zeit zwischen Vietnamkrieg und Watergate-Affäre. Erzählt wird die Geschichte des simulierenden Draufgängers McMurphy, der sich einer drohenden Gefängnisstrafe durch die freiwillige Einlieferung in die Psychiatrie entzieht, doch damit am Ende erbarmungslos scheitert. Durch die Verfilmung des Stoffes durch Miloš Forman, erlangte Keseys Roman schließlich Weltruhm.
Die Bühne des kleinen Hauses des Theater Bremen wirkt mit ihren unterschiedlichen Rampen und Ebenen in Metall und Grau wie eine futuristische Skateanlage. Im Hintergrund legt Lotte Rudhart im Outfit der strengen Krankenschwester die Hand auf ein grünes Anstalts-Licht, als würde sie an diesem Ort ihre körpereigenen Batterien aufladen. Im Vordergrund tanzt ihr Gegenpart, der indianische Psychiatrie-Patient Bromden (getanzt von Freddy Houndekindo) eine bizarre Mischung aus Verzweiflung, Gefangenschaft, Schmerz und Wut. Seine Figur steht in der Geschichte für die Wiedererweckung des Glaubens an die Befreiung aus der selbstauferlegten Machtlosigkeit in einem System permanenter Macht und Bedrohung.
Nach und nach kommen alle anderen Psychiatrieinsassen auf die Bühne und bieten zunächst ein erstaunliches Panoptikum an Kuriositäten und Ticks. Besonders bei den Renagade-Tänzern zeigen sich diese oft in bestechender Street-Dance-Akrobatik. Mit dem Eintreffen von McMurphy (überzeugend rebellisch: Frederik Rohn) nimmt die bekannte Geschichte ihren Lauf. Es folgen für Filmkenner immer wieder bekannte Bilder, wie die musikalisch unterlegte „Medikamentenausgabe“ bis hin zum tänzerisch und gestisch interessant gelösten Basketballspiel. Das 10-köpfige Ensemble findet hierbei viele verrückte Körperbilder für das Anstaltsgeschehen, wenn auch manche, besonders das Anstaltspersonal dabei holzschnittartig bleibt.
Samir Akika hat sich mit seiner Kompanie Unusual Symptoms, nach der Uraufführung von „Zeit der Kirschen“, in der er sich mit dem französischen Filmemacher Jacques Tati beschäftigte, erneut einem Filmstoff genähert. Doch wieso, fragt man sich am Ende der eineinhalbstündigen Vorstellung, muss etwas auf die Bühne, was es schon so perfekt in Literatur und Film gibt? Und vor allem dann, wenn der rund 50 Jahre alte Stoff um Macht, Machtmissbrauch, Revolte, System und Irrsinn nicht eine zeitgemäße inhaltliche Interpretation erhält?
Immerhin bietet doch die Vorlage in ihrem Nachdenken über geistige Gesundheit und unangepasstes Sozialverhalten, über das Leben „drinnen“ und „draußen“ und der sich daraus erschließenden weiteren Frage darüber, wer sich in unserer Welt eigentlich vor wem in Sicherheit bringen muss, ausreichend viele Themen. So findet Akika zwar tanzästhetisch einige interessante, verrückte, neue Bilder und einzig das Bühnenbild von Nanako Oizumi überzeugt mit einer heutigen Stimmung, doch bleibt die Inszenierung insgesamt in der Nacherzählung eines längst bekannten Stoffes hängen. Und das berührt wenig und wirkt am Ende nur wie ein Versuch, der unvergesslichen Filmvorlage gerecht zu werden.
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