Das Cloud Gate Dance Theater bei Movimentos mit „White Water“

Das Cloud Gate Dance Theater bei Movimentos mit „White Water“

Zwischen fließender Leichtigkeit und düsterer Apokalypse

Das Cloud Gate Dance Theatre mit zwei Europapremieren bei Movimentos

Schönheit, Stille und fließende Bewegungen sind das Markenzeichen des Ensembles aus Taiwan. Der künstlerische Leiter Lin Hwai-Min, Philosoph unter den Choreografen, setzt mit seinem diesjährigen Beitrag auf ungewohnte Kontraste.

Wolfsburg, 14/05/2015

Schönheit, Stille und fließende Bewegungen sind das Markenzeichen des Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan. Und der künstlerische Leiter Lin Hwai-Min, 2009 geehrt mit dem Movimentos Tanzpreis für sein Lebenswerk, ist mit seinem Ensemble immer gern gesehener Gast beim Festival in Wolfsburg. Der Philosoph unter den Choreografen, der die asiatische Tanzkunst revolutioniert und international berühmt gemacht hat, setzt mit seinem diesjährigen Beitrag allerdings auf ungewohnte Kontraste. Die Stücke „White Water“ und „Dust“ – beide im vergangenen Jahr in Taipeh uraufgeführt und nun zum ersten Mal in Europa gezeigt – könnten unterschiedlicher nicht sein.

„White Water“ ist ein typisches Werk des renommierten Choreografen. Die hellen, lockeren Kostüme unterstützen die weichen, fließenden Bewegungen der Tänzer. Und es hätte gar nicht zwingend der Videoinstallation im Hintergrund der Bühne bedurft, um zu erkennen: hier ist alles im Fluss. Zur Musik von Erik Satie, Albert Roussel, Ahmet Adnan Saygun, Maurice Ohana und Jacques Ibert gleiten, strömen und strudeln die Tänzer über die Bühne, begegnen sich, halten sich, lösen sich voneinander. Mit dem grandiosen Mix aus klassischem Ballett, Modern Dance, Tai Chi und asiatischem Kampfsport, die als grundlegende Elemente zum ganzheitlichen Training des Ensembles gehören, gelingt es den sich scheinbar zufällig bewegenden Körpern das Bild eines Flusses heraufzubeschwören. Strömungen, Turbulenzen und kleine Wirbel wechseln sich ab mit stillem, meditativem Dahinfließen. Der Meister der Ruhe setzt mit seiner Choreografie auf Entschleunigung, denn die vierzehn Tanzszenen lassen den Zuschauer quasi am Ufer sitzen und, abgesehen von einzelnen raschen Fließ- und damit korrelierten ekstatischeren Tanzsequenzen, die immerwährende, unaufhaltsame Bewegung des Wassers betrachten.

Für das westliche Auge, in seinem alltäglichen Umfeld eher an Hektik und schnell wechselnde Bilder gewöhnt, ist diese Form der ständigen Wiederholung anspruchsvoll, weil sie zwingt, genauer hinzuschauen. So wie sich ein Fluss in seinem Lauf zwar verändert, aber als Element doch immer gleich bleibt, wiederholen sich auch die Bewegungen der Tänzer im Verlauf des 55-minütigen Werkes immer wieder. Die Gefahr von Eintönigkeit umgeht Lin Hwai-Min, indem er die Harmonie gewollt durchbricht. Die wechselnden Wasserbilder, die mal pulsierende Ausschnitte, mal einen ganzen Fluss zeigen, werden von feinen grünen Linien unterbrochen und gleichsam wie mit einem fiktiven Vermessungsnetz in eine künstliche Form gezwängt. Auch im Tanz spiegelt sich der Bruch wider, die Bewegungsformen erscheinen geordneter, die Tänzer selbst sind von dem grünen Lichtgitter eingefangen. Der Zuschauer wird desillusioniert, der gerade manifestierte Glaube an das Bild vom Fluss erschüttert. Am Ende jedoch stellt sich die Harmonie wieder ein, der bewusst herbeigeführte Moment des Zweifels wird überwunden und die ruhige Gelassenheit kehrt auf die Bühne zurück. Der Fluss ist wieder ein Fluss und mäandert ungehindert weiter, genau wie die dahingleitenden Körper auf der Bühne – die getanzte taoistische Weisheit, den Dingen ihren Lauf zu lassen.

So viel Kontemplation gestattet Lin Hwai-Min den Zuschauern im zweiten Teil nicht. Nach dem beruhigenden Seelenbalsam, der hellen, harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Natur, stürzt der Choreograf das Publikum nun in die Düsternis. „Dust“ ist eine Auseinandersetzung mit den Abgründen der Menschheit, ihrem Kampf, ihrer Gegnerschaft und dem daraus entstehenden Elend und Leid. Wer bis dahin angenommen hatte, das Ensemble verstünde sich nur auf die besonders professionelle Umsetzung fließend-schöner Bewegungen à la Martha Graham, musste umdenken. Dem Frieden, Motto des diesjährigen Movimentos-Festivals, setzte das Cloud Gate Dance Theatre den Krieg entgegen, der Zusatztitel des Stückes lautet dementsprechend „ein Requiem“. Das Gute und das Böse, die Harmonie und die Zerstörung – extremer hätte es das Ensemble nicht zeigen können. Mit kantigen, schleppenden und zuckenden Bewegungen setzten die Tänzer in rußgeschwärzten Kostümen und mit schwarz beschmierten Gesichtern seelische Qualen und Traumata erschreckend überzeugend in Bewegung um. Die Bühne düster, Rauchschwaden und Feuer andeutende Videoinstallationen als Hinweise auf Zerstörung und Chaos, waren die dezenten Versatzstücke einer verstörenden, bewegenden Darbietung. Zur aufwühlenden Musik von Dimitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 winden sich die Überlebenden im Staub, bewegen sich zögerlich auf das schwache Licht zu, um verängstigt wieder davor zurückzuschrecken.

Wie sehr das Ensemble seine Darbietungen als abgeschlossene Einheiten begreift, zeigte sich auch in an sich so Banalem wie dem Applaus. Nahmen die Tänzer den Beifall nach dem ersten Stück noch mit viel ruhigen Verbeugungen entgegen, standen sie den Standing Ovations nach „Dust“ nur starr eingehakt gegenüber und starrten unbewegt in das begeisterte Publikum. Das Cloud Gate Dance Theatre bleibt eben bis zum Schluss ein Gesamtkunstwerk.

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