„Songs of the Wanderers“ von Lin Hwai-min

„Songs of the Wanderers“ von Lin Hwai-min

Rituale auf Reishügeln

Cloud Gate Dance Theatre am Staatstheater Wiesbaden

Auch die Maifestspiele in Wiesbaden haben ihre Tanzveranstaltungen in diesem Jahr unter das Motto TanzERBE gestellt. Den Auftakt machte am ersten Mai-Wochenende das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan mit „Songs of the Wanderers“ ihres Gründers und Choreografen Lin Hwai-min.

Wiesbaden, 06/05/2014

Auch die Maifestspiele in Wiesbaden haben ihre Tanzveranstaltungen in diesem Jahr unter das Motto TanzERBE gestellt. Den Auftakt machte am ersten Mai-Wochenende das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan mit „Songs of the Wanderers“ ihres Gründers und Choreografen Lin Hwai-min. Die Taiwanesen waren nicht zum ersten Mal in die hessische Landeshauptstadt gekommen, seit 2002 sind sie nun das fünfte Mal dort zu Gast. Mitgebracht haben sie die legendäre Choreografie „Songs of the Wanderers“ aus dem Jahr 1994, die ihren internationalen Ruf begründete.

Neben dem rituell-meditativen Tanz war schon immer die Musik sehr besonders, die Lin für seine choreografische Ideen fand: Männer-Chorgesang aus Georgien. Obwohl die Musik aus einem anderen Kulturkreis stammt, passen die Ausdrucksformen auf erstaunliche Weise zusammen, der Gesang ist auf seine Art ebenso ritualisiert und überirdisch schön wie der Tanz. Seit 2011 führte Cloud Gate Dance Theatre das Stück weltweit unter musikalischer Live-Begleitung des zehnköpfigen Rustavi Ensemble aus Georgien auf. Die sich verströmende Energie ist enorm, man fühlt sich akustisch und visuell in eine andere Welt versetzt. Das Publikum im ausverkauften Wiesbadener Theater war voller Begeisterung und spendete nicht enden wollenden Applaus.

Was zu sehen ist: Ein buddhistischer Mönch steht die ganzen 90 Minuten lang unbeweglich am linken Bühnenrand, mit zum Gebet erhobenen Händen und unter ständigem Geriesel von Reiskörnern. Eine Leistung ganz eigener Art. Neben ihm sind viele kleine Körnerhügel, die von den Tänzern vorsichtig erkundet, mutig durchschritten und temperamentvoll abgetragen werden. Die Aufführung ist fast monochrom, die lockeren Gewänder sind haut- oder reisfarben - je nachdem, wie man das betrachten möchte. Nur die langen schwarzen Haare der Tänzerinnen und die grünen Zweige in einer Szene geben dem Ganzen eine andere Farbnote. Immer wieder kehrendes Requisit sind die krumm gewachsenen Stecken, an deren Enden kleine Glöckchen befestigt sind, die hin und wieder auch zum Klingen gebracht werden. Die Bewegungen findet wie beim Tai Chi und Qi Gong immer tief in den Knien statt, und hat dadurch etwas animalisch Schleichendes. Ästhetisch traumhafte Bilder entstehen über die langsamen Bewegungen und oft von der Seite eintreffendes warmes Streulicht. Erstaunliche Hebe-, Halte- und Tragefiguren werden gezeigt, die mit westlichem Ballett so gar nichts zu tun haben.

Alles wirkt kreatürlich und ist der Natur abgeschaut. Die Gesichter sind bemalt und das ständige Hochwerfen des Reises und Verursachen von Staub macht ihnen nichts aus. Zudem wurden Elemente verschiedener Kulturen integriert. Der taiwan-chinesische Choreograf erhielt die Idee zu dem Stück auf einer Indienreise, insbesondere in Benares (Varanasi) am Ganges, wo er die Beerdigungs- und Reinigungszeremonien quasi direkt nebeneinander beobachten konnte. Aus japanischen Teezeremonien und Gartenanlagen scheint der Mann mit der Sandharke zu kommen; er zieht immer wieder seine Bahnen und bringt Ordnung auf den Boden. Die unendliche Drehbewegung der türkischen Derwische kommt ebenfalls vor: Nach einem atemberaubenden Ritual mit fünf lodernden Feuerschalen. Auf offener Bühne! Was so alles möglich ist, macht Staunen.

Und am Ende sind alle 20 Tänzer und Tänzerinnen einmal nebeneinander zu sehen. Damit die Chormitglieder die Bühne betreten können, zieht der Sandharken-Mann noch einmal seine unendlich scheinenden Runden. Dann sind die Georgier, die den ganzen Abend in einer Seitennische stehen, auch endlich alle zu sehen: gewandet wie Krieger in schwarze Umhänge, mit Stiefeln und Dolchen. Sie sind unglaublich groß und kräftig, vor allem wenn die kleineren zierlichen Taiwanesen dazu kommen und sich alle gemeinsam verbeugen. Kann Völkerverständigung schöner sein?

Die nächsten TanzERBE-Gastvorstellungen im Staatstheater Wiesbaden:
„Songook Yaakaar“ (Die Hoffnung Herausfordern) von der Gruppe Afro-Dites / Kaddu Jigeen! (Stimme der Frauen) der Senegalesin Germaine Acogny, am Do 15. Mai, 19.30 Uhr
„Vollmond“ vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, am 31. Mai, 1. und 2. Juni, 19.30 Uhr

Außerdem gibt es begleitend eine Fotoausstellung, Filmvorführungen und Vorträge.

 

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