„Der Nussknacker“ von Ben Van Cauwenbergh

„Der Nussknacker“ von Ben Van Cauwenbergh

Kindlich-kitschiger „Nussknacker“

Ben Van Cauwenberghs Choreografie

Mit Kindern und für Kinder hat Ben Van Cauwenbergh seinen „Nussknacker“ konzipiert. Und das ist gut so - trotz manch verwunderlicher Parallelen zu Benjamin Millepieds Version, die nebenan in Dortmund zu sehen ist.

Essen, 13/11/2015

In eine Schneekugel mit Pappweihnachtsbaum packt Van Cauwenberghs Bühnenbildner und Videozauberer Bill Krog die „Villa Stahlbaum“, zoomt später die gemalte Zuckerburg ein und wirft zum Divertissement bunte Kaleidoskopmuster auf die Wände, klebt in naiver Malerei-Manier eine Winterlandschaft für die Schneekönigin auf den Rückprospekt und denkt sich allerlei Glitzerzeug für dieses Weihnachtsmärchen aus. Die Disney-Magier hätten's nicht glamouröser und kitschiger erfinden können. Ebenso edel und hollywoodreif sind die Personen von Dorin Gal kostümiert und vom Choreografen dirigiert. Den Vogel schießt ein Drosselmeier ab, wie man ihn kaum je zuvor sah: eine fabelhafte Figur macht der hochgewachsene, superschlanke, dunkelhäutige Moisés León Noriega in enganliegender, silbern schimmernder Hose, roter Samtjacke und einem weit schwingenden, schwarz-weiß gestreiften Cape. Mit charismatischer Aura katapultiert er sich als mysteriöser Magier und Strippenzieher ins Zentrum des Geschehens zwischen Weihnachtsparty und Kindertraum.

Weiß und pastellfarben erscheinen Clara, ihre Eltern und Geschwister, der freche Fritz (Viacheslav Tyutyukin) und der süßer Teenie Louise (Yanelis Rodriguez), die sich prompt in Drosselmeiers Neffen Karl / Nussknacker (ein veritabler klassischer Ballerino: Breno Bittencourt) verguckt, während die winzige Elevin Amira Eldesouki als Clara im cremefarbenen Festtagskleid trotz Hochfrisur ganz Kind bleiben darf. Schade, dass sie immer nur kleinkindlich trippeln muss, statt auch mal normal zu gehen oder mehr zu tänzeln. Das schönste Bild des Abends bietet sie mit Drosselmeier, wenn er sie in eine Jakobsmuschel hebt, damit sie dem Divertissement zugucken kann - bis sie sich zusammenkuschelt und dem Erwachen entgegen schlummert.

Furchterregend in pechschwarzen Gothic-Klamotten trifft Familie Rattenstein im Hause Stahlbaum ein. Andere Gäste reisen auf Ski, Schneeschuhen und per Pedes, dick verpackt, an. Der Hausdiener tut alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem er Miss Sophies Diener James (samt Tigerfell) bis in die affektiert gespreizten Fingerspitzen imitiert und sogar noch Runden durch das Winterwunderland der Schneekönigin (ganz klassisch: Mariya Tyurina) auf blitzenden Kufen dreht. Tomáš Ottych absolviert seine kuriose Aufgabe mit Grandezza. Mit technischen Bravourakten glänzt einmal mehr Wataru Shimizu als verschrobener Rattenstein-Sohn Hermann und sprungkräftiger Kosake im „Russischen Tanz“.

Im Orchestergraben peitscht Yannis Pouspourikas die Essener Philharmoniker bei der besuchten Vorstellung mit rasantem Tempo durch das Vorspiel. Flott blieben die Tempi, aber tanzbar.

Mit akribischer Effizienz hat sich Essens Ballettdirektor die Geschichte passend zugeschnitten, um möglichst viel Spielzeug und Kinder beschäftigen zu können. Schüler und Schülerinnen des Fachbereichs Tanz am Gymnasium Essen-Werden und Kinder des Essener Ballett-Studios Roehm sind dabei – hinreißend vor allem als kleine Chinesen im Divertissement! Doch wird insgesamt manches viel komplizierter als E.T.A. Hoffmann es sich ausdachte, und manches kommt Benjamin Millepieds Version (2005 in Genf aus der Taufe gehoben, später u.a. in New York aufgeführt) verwunderlich nahe. Nicht nur, dass in beiden Produktionen Kinder und Jugendliche auf der Bühne stehen und dem Divertissement zuschauen, oder hier Spielzeugsoldaten, dort Bauklötze Kinderzimmerambiente vorgaukeln, die tatterigen Großeltern als Dortmunder Buffopaar zum klamaukigen Essener Hausdiener mutieren.

Mit Kindern und für Kinder hat Ben Van Cauwenbergh seinen „Nussknacker“ konzipiert. Und das ist gut so - trotz manch verwunderlicher Parallelen mit Benjamin Millepieds Version, die jetzt nebenan in Dortmund zu sehen ist. Es findet hier wie dort eine schrille „Neue Welt“-Verfremdung statt, die Tschaikowskys Musik und letztlich dem heutigen künstlerischen Anspruch nicht wirklich gerecht wird.

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