Melissa Hamilton und Jiří Bubeníček in „Manon“

Melissa Hamilton und Jiří Bubeníček in „Manon“

Ein Abschied, ein Debüt, ein großer Ballettabend in Dresden

„Manon“ von Kenneth MacMillan mit Melissa Hamilton in der Titelpartie und Jiří Bubeníček als Des Grieux

Nicht zuletzt macht dieser hochemotionale Abend auch deutlich: Die Möglichkeiten des klassischen, bzw. neoklassischen Tanzes sind längst nicht ausgereizt.

Dresden, 12/11/2015

Vor zehn Jahren übernahm Aaron S. Watkin die Ballettdirektion in Dresden beim Semperoper Ballett. Mit ihm kam Jiří Bubeníček in die neu aufgestellte Kompanie; er kam aus Hamburg, wo er bei John Neumeier gemeinsam mit seinem Bruder Otto eine sagenhafte Karriere gemacht hatte. Neumeier kreierte Partien für ihn; unvergessen etwa sein Nijinsky. Während Otto in Hamburg blieb, wo er sich letzten Sommer aus der Kompanie verabschiedete, zog es Jiří Bubeníček nach Dresden. Er suchte neue Herausforderungen, wollte auch mit anderen Choreografen arbeiten, was dann ja auch geschah. Zudem hatte er längst angefangen sich einen Namen als Choreograf zu machen; da benötigte er auch die Freiheit, die sich mit Watkin vereinbaren ließ. Während es um die Besetzung der Opernintendanz nach dem frühen Tod von Ulrike Hessler in Dresden heftige Querelen gab, schuf Aaron S. Watkin mit dem Ballett eine verlässliche Konstante und gewann das Publikum, das sich anfangs noch skeptisch gegenüber mehrteiligen Abenden und zeitgenössischen choreografischen Handschriften zeigte. Inzwischen werden längst nicht mehr nur die „Klassiker“ – auch von einem sichtlich verjüngten Publikum – bejubelt. Um die Kontinuität dieses Aufbruchs nicht zu gefährden wurde durch den geschäftsführenden Intendanten Wolfgang Rothe der Vertrag mit Watkin bis 2020 verlängert. In diesem Zusammenhang erklärte der Ballettchef, er wolle bis dahin in jeder Saison einen wegweisenden Choreografen des 20. Jahrhunderts vorstellen. Den Anfang machte er jetzt mit der Dresdner Erstaufführung des Balletts „Manon“ von Kenneth MacMillan aus dem Jahre 1974. Pina Bauschs Tanzoper zu Glucks „Iphigenie auf Tauris“, ebenfalls aus dem Jahre 1974, soll in der nächsten Saison folgen.

Kenneth MacMillan, geboren 1929 in Schottland, gestorben 1992 in London gilt als eine der Choreografie-Ikonen des letzten Jahrhunderts. Er leitete bedeutende Kompanien, das Ballett der Deutschen Oper Berlin, das Royal Ballet in London, er war stellvertretender Direktor beim American Ballet Theatre in New York. Er hat mit seinen Handlungsballetten Geschichte geschrieben. Er bleibt zwar den klassischen Grundlagen und Anforderungen verpflichtet, aber er setzt diese Techniken vor allem handlungsbetont und inhaltlich begründet ein. Das gilt nicht nur für die Solisten, auch für das Corps de ballet, denn bei genauem Hinsehen entdeckt man, wie genau und geschickt sich die Zuordnungen der Bewegungen etwa im ersten Bild bei den Straßendieben von denen der Schlenderer oder Kavaliere und Prostituierten unterscheiden. Es sind eben nicht die bravourösen Sprünge, die attraktiven Bewegungen, es ist die Intimität des Tanzes. Die Bewegungen der Arme und die wahnwitzigen, flinken Bewegungen der Füße in ungeahnten Varianten spielen eine große Rolle – nicht zu vergessen das Augenzwinkern im Geiste des britischen Humors.

Kein Pas de deux gleicht dem anderen, gerade in „Manon“. Und so wie er seine Hauptfiguren Manon, Des Grieux und Manons zwielichtigen Bruder charakterisiert, so erkennt man auch die Gegensätze anderer Figuren und Gruppen. MacMillan schafft eine konzentrierte Abfolge dieser unabwendbaren tragischen Handlung, in der Manon den Verführungen des Reichtums erliegt und Des Grieux, der ja eigentlich auf dem Weg ins Priesteramt ist, in seiner hoffnungslosen Situation kriminell und sogar zum Mörder wird. Natürlich gibt es genregemäß opulente Szenen und prächtige Bilder – zu Beginn in der Straßenszene oder dann auf dem Ball einer ominösen Gesellschaft, wo getanzt, getrunken und gekuppelt wird was das Zeug hält. Im spannungsvollen Kontrast dazu stehen aber die Szenen der konzentrierten Intimität eines Kammerspiels.

Für die Titelpartie der Manon wurde Melissa Hamilton vom Londoner National Ballet verpflichtet, die damit ihr Dresdner Debüt gibt. Jiří Bubeníček ist der junge Student; er verabschiedet sich mit dieser Partie, auf die er lange gehofft und gewartet hatte vom Dresdner Semperoper Ballett. Melissa Hamilton, die diese Partie ja auch in London tanzt und fortan gastweise als erste Solistin in Dresden sein wird, hat jene zerbrechliche Leichtigkeit und auch den selbstbestimmten Gestus, so etwas Unbändiges. Selbst wenn sie im Pas de cinq des zweiten Aktes, im wahrsten Sinne des Wortes, bei ihren Verehrern von Hand zu Hand geht, bleibt sie selbstbestimmt. Ihre technischen Voraussetzungen sind großartig, sie kann den nötigen dramaturgischen Bogen von der ersten Liebesbegegnung bis hin zum Moment der großen Liebe angesichts des Todes dynamisch und glaubwürdig gestalten. Natürlich ist Jiří Bubeníček nicht der blutjunge Student – im Roman ist er gerade mal 17 Jahre alt – und blickt hier im Stile einer Ich-Erzählung auf sein Leben zurück. Seine Interpretation setzt jetzt naturgemäß besondere Akzente. Da ist ein Mann, der in seinem Leben etliche Erfahrungen zu bewältigen hatte, dem jetzt etwas unerwartetes widerfährt, der alles auf eine Karte setzt, kriminell wird, sogar mordet, und am Ende, wenn Manon in seinen Armen stirbt, mit der grandiosen Geste eines stummen Schreies allein zurück bleibt.

Tänzerisch ergänzen sich die Protagonisten. Bubeníček als Partner kann die Hamilton schweben lassen. Von ihm gehalten vollführt sie diese für MacMillan so typischen Bewegungen der Füße knapp über dem Boden, als liefe sie in der Luft. Im letzten Pas de deux wenn sie mehrmals in die Höhe geworfen wird, sich rasch in der Luft dreht und sanft aufgefangen wird – da hält man schon den Atem an. Bubeníček, dessen dramatische Präsenz außer Frage steht, gewinnt im Verlauf des Abends immer mehr an tänzerischer Dynamik, minimale Irritationen zu Beginn mögen der außergewöhnlichen Situation geschuldet sein, am Ende hat man eine Interpretation des Des Grieux von existenzieller Tiefe erlebt. Beide werden für ihre tänzerische und darstellerische Leistung gefeiert.

Diese Aufführung ist bis in die kleinsten Partien höchst angemessen besetzt, unbedingt zu erwähnen ist der Tänzer Denis Veginy als Manons Bruder. Als Betrunkener etwa legt er ein Meisterstück in seinem rasanten Solo hin. Die Fortsetzung folgt sogleich im Pas de deux mit seiner Partnerin, der grandiosen Svetlana Gileva mir ihrer exzellenten Technik – dazu aufmüpfiger Charme und elegante Laszivität. Man sieht es insgesamt: Diese Tänzerinnen und Tänzer beherrschen ihre klassischen Grundlagen und, man merkt es, sie sind auch in der Moderne brillant, bei Forsythe, Godani, Johan Inger, Mats Ek oder Alexander Ekman, der demnächst einen ganzen Abend für die Dresdner kreieren wird.

Die Musik von Jules Massenet, hier in der Instrumentierung und in den Arrangements des britischen Dirigenten Martin Yates von 2011, er wird demnächst auch einige Aufführungen in Dresden dirigieren, hat mitunter doch einen Hauch von zweckmäßiger Illustration. Es gibt wiederkehrende Themen, für Manon etwa die Variationen zarter Streicherpassagen mit Harfe und Flöte. Meistens aber fließt der Klang dahin; manchmal wird diese melancholische Melodik von stärker rhythmisch geprägten Einlagen gebrochen; es gibt auch dramatische Zuspitzungen. Aber weil die Bilder des Tanzes, die Emotionen der Protagonisten, die Opulenz der Ausstattung in den Genrebildern und vor allem in der optischen Zurückname der intimen Bilder so stark sind, kann man die Musik wahrnehmen wie in einem Film. Die Mitglieder der Staatskapelle aber können das alles veredeln. Paul Connely, weltweit einer der erfahrensten Ballettdirigenten, atmet gewissermaßen mit den Tänzern. Mit diesem Ballett wird ein weiterer, wichtiger und in dieser Art auch neuer Akzent im stilistisch weit gespannten Repertoire der Kompanie, die Ballettdirektor Aaron S. Watkin in zehn Jahren enorm vorangebracht hat, gesetzt. Nicht zuletzt macht dieser hochemotionale Abend auch deutlich: Die Möglichkeiten des klassischen, bzw. neoklassischen Tanzes sind längst nicht ausgereizt.

Melissa Hamilton und Jiří Bubeníček in „Manon“

Melissa Hamilton und Jiří Bubeníček in „Manon“

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