„Bella Figura“ von Jiří Kylián

„Bella Figura“ von Jiří Kylián 

Kraftvoll

Saisoneröffnung beim Semperoper Ballett

„Kopf hoch“ bedeutet die italienische Redensart „Bella Figura“. Und so, wie die Tänzerinnen und Tänzer, die in der Wiederaufnahme dieser Choreografie von Jiří Kylián ihre Debüts geben, können sie erhobenen Hauptes in die neue Saison tanzen.

Dresden, 08/09/2014

Eigentlich kann man ja von einer Premiere sprechen, denn die drei Stücke dieses am Ende gefeierten Abends sind in den meisten Partien neu besetzt. „Kopf hoch“ oder „Lass dir nichts anmerken“ bedeutet die italienische Redensart „Bella Figura“. Und so wie die Dresdner Tänzerinnen und Tänzer, die jetzt in der Wiederaufnahme dieser legendären Choreografie von Jiří Kylián aus dem Jahre 1995 ihre Debüts geben und diese Kreation des tschechisch-niederländischen Choreografen präsentieren, können sie wahrhaft erhobenen Hauptes in die neue Saison tanzen.

Betörend sind die harmonisch fließenden Bewegungen zu barocker Musik, sensibel die Brechungen in den Momenten gefährdeter Nähe und Zärtlichkeit durch unverhoffte Szenen der Einsamkeit oder bedrohlicher, räumlicher Beengung. Am Ende, wenn diese Choreografie sich in der Stille verflüchtigt, bleiben Bilder von assoziativer Kraft.

Und dann, zum Finale dieses ersten Ballettabends der neuen Saison, traut man seinen Augen nicht, dieselben Tänzerinnen und Tänzer, die diesem Klang der Stille so zarte Gestalt gaben, lassen es nun krachen. Für „Minus 16“ hat der israelische Choreograf Ohad Naharin Stücke zusammengestellt, die er für seine weltberühmte Batsheva Dance Company kreierte. In der größtenteils neuen Besetzung zeigt sich die Dresdner Kompanie von Aaron S. Watkin auch diesen völlig anders gearteten Ansprüchen bestens gewachsen. Naharin verwendet traditionelle Musik aus seiner Heimat und aus Südamerika ebenso wie von Antonio Vivaldi oder Frédéric Chopin. „Echad Mi Yodea“ - jene wilde, provokante „Laola-Welle“ der Tänzer auf den Stühlen zum traditionellen jüdischen Gesang der Familien, die beim Pessachfest an den überstürzten Aufbruch des Volkes Israel aus der Ägyptischen Gefangenschaft und den Beginn des Weges durch Wüste und Rotem Meer in die verheißene Freiheit erinnert.

Um Naharins Kraft des Protestes, die er in diese Arbeit gelegt hat, über alles Mitreißende und Dekorative hinaus zu vermitteln, braucht man starke Tänzerpersönlichkeiten. Hier zählen weder Perfektion allein, noch die Vollkommenheit der Symmetrie. Hier zählt die totale Hingabe, und die kann man erleben.
Aber es ist nicht nur dieser mitreißende Charakter der Arbeiten von Naharin in „Minus 16“, es sind auch sehr sensible Passagen, wie etwa das Duo zu Antonio Vivaldis Vertonung des 126. Psalms, jenem Hoffnungsgesang, der von der Vision, einmal zu sein „wie die Träumenden“, erzählt. Caroline Beach und Johannes Schmidt überzeugen ohne Wenn und Aber.

Und auch die Einladung an das Publikum mitzutanzen, eine mitunter heikle Angelegenheit, gelingt, da die Tänzerinnen und Tänzer ihre Partner nicht allein lassen und so aus der wunderbaren Verführung keine Vorführung wird.

Zur zweiten Pause dieses dreiteiligen Abends sollte man seinen Platz besser nicht verlassen. Denn mit dem ihm eigenen Charme der Bescheidenheit, seiner jungenhaften Verschmitztheit, vor allem aber seiner so unverwechselbaren, individuellen tänzerischen Präsenz, präsentiert Jón Vallejo eine Improvisation vom Feinsten.

Die große Kraft dieses Abends aber geht von der Mitte aus. David Dawsons preisgekrönte Kreation „The Grey Area“ mit der dynamischen, meditativen Klangfläche von Niels Lanz, 2002 in Amsterdam uraufgeführt, seit 2007 als deutsche Erstaufführung im Dresdner Repertoire, fügt sich bestens in diesen Ballettabend. Dass diese Abfolge feinsinnig gesetzter Bilder und Situationen vom Werden und Vergehen - in verschwimmenden Lichtstimmungen zwischen Tag und Traum, in vielfältigen Grauzonen zwischen Schwarz und Weiß, in bewusster Bescheidenheit - von so soghafter Kraft ist, liegt nicht zuletzt auch an der neuen Besetzung. Da sind der jetzt als erster Solist aus Budapest zurückgekehrte István Simon und Christian Bauch zu nennen. Letzterer, ein Absolvent der Palucca Hochschule, der Erfahrungen auf den Bühnen von Chemnitz, Stockholm und Mainz sammelt, gehört nun der Dresdner Kompanie an. Auch zeigen Chantelle Kerr, Anna Merkulova und Julia Weiss, dass der Spitzentanz sehr wohl - entgegen manch voreilig wie unüberlegt geäußerter Annahme - zum zeitgenössischen Tanz gehört, wenn sie in ihrer Art die neoklassische Technik ganz selbstverständlich zeitgemäß interpretieren. „Bella Figura“ weckt schönste Hoffnungen auf den weiteren Verlauf der Saison 2014/2015.

Weitere Aufführungen: 9., 10., 12., 19. September
www.semperoper.de
 

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