Opfer und Täter in gemeinsamer Attacke

CocoonDance aus Bonn zeigt „Pieces of Me“

Wenn CocoonDance jetzt selbst in Berlin auftritt, zeigt die Gruppe aus sieben internationalen Tänzern in den Uferstudios wiederum ein thematisch gebundenes Stück. „Pieces of me“ fragt nach der Dualität von Täter und Opfer, weiß keine fertigen Antworten.

Berlin, 24/04/2014

Die Bundesrepublik sei noch immer ein goldenes Land für den Tanz, sagt Rafaële Giovanola, meint damit wohl auch die Zahl der trotz rigider Sparmaßnahmen praktizierenden Compagnien an den Theatern und im Bereich der Freien Szene. Sie selbst steht für den Spagat zwischen den beiden Wirkungsfeldern des Tanzes. Nach klassischer Ausbildung bei der legendären Lehrerin Marika Besobrasova in Monte Carlo tanzte die in Baltimore geborene Schweizerin in Turin, länger dann am Frankfurter Ballett, wo sie in Werken von Jiří Kylián, Uwe Scholz, William Forsythe auf der Bühne stand. Auch die Arbeit mit Gastchoreografen wie Daniel Larrieu und Stephen Petronio setzte einen Umdenkprozess in Gang. Ballett fiel ihr leicht, erzählt sie, aber sie sah keinen Sinn darin, nur Technik zu zelebrieren. So wechselte sie 1990 nach Freiburg zu Pavel Mikuláštik, einst Tänzer bei Tom Schilling an der Komischen Oper, und dem Choreografischen Theater, wie er seine Form Tanztheater nannte. Dort brillierte Giovanola auch als vielschichtige Gelsomina in einer Version von Fellinis „La Strada“. Bis zur Auflösung der Truppe 2003 blieb sie bei Mikuláštik, hatte aber schon 2000 zusammen mit dem Dramaturgen Rainald Endraß als eigenes Projekt CocoonDance gegründet. Gut zwei Jahrzehnte besteht es, hat im 200-jährigen Bonner Theater im Ballhaus, einem Ort produzierender Künstler, sein Domizil gefunden und kann auf ein Repertoire von über 30 abendfüllenden Produktionen verweisen.

Sie glaube an die erzählerische Kraft des Körpers, versichert Giovanola und sucht ständig nach adäquaten Themen. Identität, Inzest und Rassismus, Verschwörungstheorien, das Immergleiche des Alltags, das Apparathafte des Körpers, Tod oder die Psyche von Serienmördern hat sie in ihren Stücken mit den Mitteln des zeitgenössischen Tanzes behandelt, will anregen und selbst angeregt werden. Dazu gibt sie ihren projektbezogen gebundenen Tänzern gezielt improvisatorische Aufgaben, komponiert daraus und aus eigenen Vorstellungen vom Thema ihr Stück. Die Lust am Finden stehe dabei im Vordergrund und die Überzeugung, alles sei möglich, was zwei unterschiedliche Meister wie Besobrasova und Forsythe sie gelehrt haben. Dass CocoonDance auf vier Kontinenten gastierte, in Bonn ein Solo-Tanzfestival ausrichtet und eine Juniorcompagnie aus Amateuren unterhält, spricht neben Erfolg auch für ein sozial breites Engagement im Tanz. Hierzu gehörte ebenso drei Jahre lang der wöchentliche Unterricht in vier Schulklassen. Was choreografisch entstand, durfte am Theatertreffen der Jugend in der Berliner WABE teilnehmen und gewann im Tanz den von der Kulturstiftung der Länder ausgerufenen Wettbewerb „Kinder zum Olymp!“.

Wenn CocoonDance jetzt selbst in Berlin auftritt, zeigt die Gruppe aus sieben internationalen Tänzern in den Uferstudios wiederum ein thematisch gebundenes Stück. „Pieces of me“ fragt nach der Dualität von Täter und Opfer, weiß keine fertigen Antworten, bietet vielmehr Fragmente, die sich erst in der Sicht des Zuschauers zum Mosaik fügen. Dazu arbeitet Giovanola mit dem Konzept eines offenen Raumes ohne feste Sitzplätze. Der Betrachter soll sich beim Wandern selbst den Blickwinkel suchen, von dem aus er der tänzerischen Aktion zusieht. Sie vereint Tanz, Text, Musik, Video und offeriert gleichsam eine Zustandbeschreibung unserer gegenwärtigen Welt. Ein metallenes Gestell wird auf der weiß grundierten Szene stets umplatziert, schafft so Unterräume und treibt die Tänzer darin vor sich her. Isoliert ziehen sie ihre Bahn, in einer sich aufheizenden skulpturalen Bewegungssprache aus Torsion, Körperwellen und schlaksiger Fahrigkeit. Kurze Soli nur ereignen sich, reißen ab, hinterlassen Spuren im Raum, ergeben den Zusammenklang von Vereinzelung einer diffusen Gesellschaft. Selbst Begegnungen bringen kein Miteinander, erschöpfen sich in der Wiederholung. Eine Frau will befehlen, eine andere übertönt ihr Wort, einer dritten tröpfelt unendlich mühsam nach dem „I“ das erlösende „love you“ aus dem Mund. Ob die Liegenden Opfer sind, die Laufenden Täter oder jeder beides, bleibt offen. In wilder Attacke reagieren sich am Ende Aggressionen ab, transportiert von einer exzellenten Tänzermannschaft, der man gern zuschaut.

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