„The Crimson House“ von Lemi Ponifasio

„The Crimson House“ von Lemi Ponifasio

Ikonografie des Grauens

Europapremiere von Lemi Ponifasios „The Crimson House“

Ponifasio muss so laut sein. Alles andere wäre ein Kompromiss gewesen. Die stroboskopischen Lichter blenden schmerzhaft, der Lärm dröhnt, erschreckt stellenweise und wirkt wie ein Schlag in die Magengrube. Aber sonst, so fühlt man, würde man (immer noch) nicht hinhören und hinsehen.

St. Pölten, 02/04/2014

Achtung, laut wird es, wird man bereits im Foyer vorgewarnt. Wer ein empfindsames Ohr hat, der möge sich der Ohrstöpsel nutzen, die am Eingang verteilt werden. Keine Frage, man sieht der Europapremiere von Lemi Ponifasios neuer Arbeit „The Crimson House“ auch etwas bang entgegen. Nach anderthalb Stunden und von einigen Zuschauern bereits vor Stückende verlassen worden, versteht man: Ponifasio, der am anderen Ende der Welt in Neuseeland lebt, muss so laut sein. Alles andere wäre ein Kompromiss gewesen. Die stroboskopischen Lichter blenden schmerzhaft, der Lärm dröhnt, erschreckt stellenweise und wirkt wie ein Schlag in die Magengrube. Aber sonst, so fühlt man, würde man (immer noch) nicht hinhören und hinsehen. Denn auch wenn wir um all die Zusammenhänge aus den Medien wissen – die Überwachung der Welt durch Geheimdienste, Diktatoren und Militärs -, leben wir mitten in Europa auf einer seit Jahrzehnten friedlichen Insel der demokratischen Grundordnung. Vor allem dem Theaterpublikum geht es dabei wirtschaftlich oft richtig gut.

Ponifasio ist ein Künstler, der mit „The Crimson House“ wachrüttelt und ins Gedächtnis ruft, dass das Gegenteil davon woanders bittere Realität ist. Er selbst, erzählt er im Vorgespräch, habe erlebt, wie es sei, wenn man herausfindet, dass man fast zwei Jahre lang überwacht worden sei ohne dies gewusst zu haben. „The Crimson House“, das sich auf die samoanische Erzählung vom ersten Haus der Götter auf Erden erzählt, das gebaut wurde, um die Menschen zu beobachten, ist die globale Ikonografie dazu. Ein Theater wie ein großformatiges, puristisches Gemälde. Und verstörend. Es strahlt die Kälte der aktuellen Kriege aus, stellt Beziehungslosigkeit dar, wenn Menschen wie Plastikpuppen wirken und verweist auf die Möglichkeit der transzendenten Transformation. Bereits im zweiten Bild steht einer der Darsteller mit nacktem Oberkörper mit Flügeln aus Federn am Rücken vorne an der Rampe. Die Stille wirkt ohrenbetäubend. Minutenlang lässt er sein Gesicht immer wieder nach oben ragen, während sein Oberkörper und seine Arme weich rudern, zucken, zittern, zucken.

Ponifasio ist kein Choreograf, der eine eigene Bewegungssprache schafft. Doch lässt er hier, in diesem Moment, über kulturelle Prägungen hinweg eine Verwandtschaft mit Marco Goecke erkennen. Wo Goecke mit an Grenzen treibende Armbewegungen in vielen seiner Stücken den Menschen aus dem Gefängnis Körper entlassen will, entwirft Ponifasio ein bestechendes Bild der Spiritualität: Der Phönix, der noch nicht aufgestiegen ist; der Adler, der sich nach Verwandlung sehnt; der Menschenvogel Garuda als Götterbote mit dem lauten Ruf nach existenzieller Freiheit. Die Assoziationen vervielfachen sich bei glasklarer Botschaft.

Ponifasio, der sich selbst als Theatermacher bezeichnet, der sich für die Welt und ihre Menschen engagiert, hält diese hohe künstlerische Qualität in allen Szenen. Unendliche Verlangsamung, kontrastiert durch pfeilschnell immer wieder im Zwielicht wuselnde und wie Comicfiguren wirkende Mönche – auch sie Sinnbilder der gleich geschalteten Bücklinge in asiatischen Diktaturen, zugleich Projektionsflächen für ersehnte Transformationen - verlangen dem Betrachter viel ab. Die sofort begriffene, realistische Repräsentation von einsamen Machthabern – immer wieder sieht man einzelne Männer hochgeschlossen auf der Bühne stehen, langsam gehen, während Licht und Schatten Tribünen, Rampen und Räume imaginärer, indoktrinierter Massen zeichnen – öffnet sich dabei durchgängig Szene für Szene ins Surreale. Der liegend schnarrende Propagandist, dessen Oberkörper nur zu sehen ist, stellt ein solches Moment dar, ebenso die unter der Perücke kahle Blondine, die, wenn auch hochgeschlossen bekleidet, minutenlang mit rot aufgeschäumtem Mund da steht, nichts als totale innere Leere ausstrahlend, und es ändert sich auch nichts, wenn er sein Gesicht in ihren Nacken gräbt. Riesenhaft wird ihr Kopf dabei in schwarzweiß auf die Rückwand projiziert. Ihre Konturen verschwimmen und schwarze Flecken entstehen, die mit den realen Darstellern kommunizieren. Auch hier vervielfachen sich die Bilder im Kopf: Der große Mann, der die Mutter sucht; das ewig Weibliche als Sehnsuchtsort männlichen Machtstrebens. Die Herabwürdigung der Frau zur Bilderware. Später besetzt sie nackt als Filmaufnahme die Rückwand. Ihr Körper sieht aus wie der eines Babys im Reagenzglas. Auch hier teilt sich das Bild im Kopf: die Unschuld am Anfang des Lebens; das von Anfang an beobachtete und grell durchleuchtete Kind; das Tote im Lebendigen. Später sieht man sie nackt auf der Bühne und wie Narziss sich über Wasser beugend selbst betrachtend.

Man solle schlicht bei sich sein, sich still mit dem Herzen verbinden und schauen. Bloß nicht denken. Nicht interpretieren. Und ja nicht derart vorgehen, dass er hier ein Konzept umsetze, eine Programmatik, hatte Ponifasio ebenfalls im Vorgespräch an seine Zuschauer appelliert. Damit kann man viel anfangen. Die kristalline Klarheit dieser Aufführung fegt den Gedanken an Ponifasio als Schöpfer der Aufführung hinweg - auch wenn er das natürlich trotzdem ist. Betroffen applaudiert man nach dem letzten Bild, als ein Mann wie ein gefallener Engel sich im Blut wälzt. Die Welt ist voller Gewalt.
 

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