„Etudes“ von Harald Lander. Tanz: Kiyoka Hashimoto und Ensemble

„Etudes“ von Harald Lander. Tanz: Kiyoka Hashimoto und Ensemble

Eine furchtlose Choreografin

Das Wiener Staatsballett macht im neuen Dreiteiler mit der Uraufführung von Natalia Horecna auf sich aufmerksam

„Etudes“ (1948) das bekannte, auch im Wiener Repertoire der 1960er Jahre gezeigte Lehr-Stück des dänischen Ballettmeisters Harald Lander, „the second detail“ von William Forsythe und seinem elektronischen Komponisten Thom Willems und „Contra Clockwise Witness“ von Natalia Horecna.

Wien, 21/12/2013

Ein durchwachsener Abend. Mit Stück Drei des unglücklich übertitelten Abends „Ballett-Hommage“ (was sonst?) in der Staatsoper deckelt man das zu, was in zwei Werken davor immerhin zeitgenössisches Ballett-Theater verheißt und den Zuschauer nachdenklich, vielleicht auch berührt entlassen könnte. Der Deckel heißt „Etudes“ (1948) und ist das bekannte, auch im Wiener Repertoire der 1960er Jahre gezeigte Lehr-Stück des dänischen Ballettmeisters Harald Lander, in dem das tägliche Tanztraining mit mehreren Referenzen zur Geschichte der Choreografie und zur Musik von Knudage Riisager (nach Czernys „Etüden“) wie ein Display dargeboten wird.

Technische Beweisführung, unterstützt vom Orchester unter Peter. E. Lassen, kommt beim Publikum immer gut an, vor allem wenn sie in zirzensische Demonstration mündet. Man kann das aber auch, bei aller Wertschätzung der Tänzerinnen und Tänzer, die sich in der Einstudierung von Thomas Lund redlich abmühen, als geistlos empfinden. Und fragen, ob es denn nicht genügt, im aktuellen Wiener Repertoire bereits ein Werk wie Serge Lifars Grand Divertissement „Suite en blanc“ (1943) zu haben. Wobei Landers „Etüden“, fünf Jahre jünger, als Feier der wiedererstandenen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg gelesen werden können und das Entstehungsjahr des Lifarschen Opus ganz andere Interpretationen zuließe...

Die „Hommage“ beginnt in Wien mit einem mehr als 20 Jahre alten Klassiker der Postmoderne: „the second detail“ von William Forsythe und seinem elektronischen Komponisten Thom Willems: Ein auf Spannungsdifferenzierung und Kontrast aufgebautes Ensemblestück, das sich auch als gescheite Paraphrase auf George Balanchines Neoklassizismus lesen lässt. Das Wiener Ensemble sieht an sich gut aus: nuancenreich und präzise. Gesamt gesehen aber haftet der freundlichen Einstudierung von Noah Gelber trotzdem eine Langeweile produzierende Starre an. Sich Forsythe einzuverleiben braucht nicht nur selbständiges Denken sondern auch ausreichend Zeit. Forsythes Coup am Ende, eine Tänzerin barfuß und sich veräußernd als elementaren Störfaktor durch das Ballett-Getriebe zu schicken, funktionierte bei der Wien-Premiere noch nicht.

Ganz um das eigene Fühlen geht es bei der Uraufführung der tragikomischen Reinkarnations-Therapie „Contra Clockwise Witness“ von Natalia Horecna. Den Tod des Vaters noch nicht verwunden, ließ sich die Enddreißigerin Horecna für das Herz-Stück des Abends von Michael Newtons Buch „Die Reisen der Seele“ inspirieren. Ästhetisch geprägt von der aktuellen Vielgestaltigkeit des famosen Nederlands Dans Theaters, erweist sich Horecna als furchtlose Choreografin. Mit bizarrem Stilgewebe, das unter anderem von den Tiger Lillies (vom Tonträger) unterstützt wird, inszeniert sie die Verzweiflung und Einsamkeit ihrer Hauptfigur (furios: Andràs Lukacs) als rauschhaften Theaterbogen. Dem großen Drama des selbstmordgefährdeten Menschen begegnet sie mit comic-artigen Himmel und Erde-Szenen.

Da nebelt es, arbeiten die Versenkungen, schieben sich alberne Engel mit wackelnden Hüften herum. Da wird laut geweint und im Suff gestorben. Ob das schon eine spezielle Handschrift ist, sei vorerst dahingestellt. Zu fragen wäre auch, ob die halsbrecherische musikalische Collage nicht durch einen zeitgenössischeren Dramaturgie-Ansatz umgehbar wäre. Was gefällt, ist Horecnas unverblümter Zugriff auf die Mittel des Theaters und ihre sichtbar intensive Auseinandersetzung mit den Tänzerinnen und Tänzer zu deren Identitätsstifterin sie letztlich wird. Da zeigt sich, was im Ensemble alles steckt, das von Manuel Legris doch in erster Linie auf ein formbewusstes, traditionell-klassisches Gefüge hin erzogen wird. In Horecnas Werk waren sie, insgesamt neunzehn, alle entfesselt: darunter Emilia Baranowicz, Reina Sawai, Nina Poláková, Mihail Sosnovschi, Andrey Kaydanovsky. Reif für eine abenteuerliche Reise.
 

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