Leitungswechsel
Katharina Christl übernimmt Leitung der Palucca Hochschule Dresden
Der neue Ballettabend „Nordic Lights“ ist vor allem ein Triumph für das Semperoper Ballett
Von wegen das verflixte siebte Jahr. Als Aaron S. Watkin 2006 seine Stelle als Ballettdirektor antrat, hatte er angekündigt, mit aller Kraft daran zu arbeiten seine Kompanie, das Semperoper Ballett Dresden, in eine Position zu führen, der internationale Beachtung nicht versagt bleiben kann, dies aber immer im Kontext kontinuierlicher Publikumsakzeptanz. So spannte er den Bogen weit von der traditionsverpflichteten Klassik über die klassische Moderne bis hin zum Wagnis, neue Choreografinnen und Choreografen mit Uraufführungen zu betrauen oder zeitgenössische Arbeiten für die Dresdner Kompanie einstudieren zu lassen.
Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, das Repertoire ist weit gespannt, für Watkin hat die achte Saison in Dresden begonnen, das derzeitige Repertoire umfasst zehn Stücke unterschiedlicher Art, hinzu kommen zwei Premieren.
In der aktuellen Premiere mit drei Arbeiten schwedischer Choreografen glänzt die Kompanie im tänzerischen Licht des Nordens. Der Abend beginnt mit einer Uraufführung von Pontus Lidberg, die inspiriert von Texten und Gedanken des persischen Mystikers Rumi, der im 13. Jahrhundert lebte, zur Musik des deutsch-englischen Komponisten Max Richter, geboren 1966, mit dem Titel „Im anderen Raum“, Träumende durch Traumräume wandern lässt, denen im Fall des Erwachens Flügen wachsen könnten. Ein Stoff, wie für den Tanz gemacht. Richters Musik liefert vorwiegend sanfte Schwingungen für Streichtrio und Piano, bedrohliche Klänge, dumpfes Grollen oder Unwetterassoziationen, sind elektronischer Art und kommen rein akustisch auch von außen. Wer bei Max Richter an Filmmusik denkt, liegt nicht falsch. Hier hat der Komponist seine Verdienste, hier erhielt er Auszeichnungen, Filme wie zuletzt „Das Mädchen Wadja“, „Sarahs Schlüssel“ oder „Walz with Bashir“ machten ihn bekannt. Die choreografische Sprache von Pontus Lidberg, der auch als Filmemacher hervorgetreten ist, ist von Sanftheit geprägt. Im Wechsel zweier Paare, Elena Vostrotina und Jón Vallejo sowie Courtney Richardson und Fabien Voranger, mit einer Gruppe von drei Tänzerinnen und drei Tänzern zieht am Zuschauer ein intensives Kammerspiel vorüber. Der Wechsel der Räume bedingt den Wechsel der Beziehungen, das kann soweit gehen, dass sich die Form der Existenz verändert, daher spielen auch Andeutungen von Tiermasken aus dem Reich der Fabelwesen eine Rolle. Zu erleben ist Einsamkeit in der Gruppe, am stärksten ist die Einsamkeit zu zweit, und dennoch breiten die Milde der Musik, die die Sanftmut der Bewegungen so etwas wie einen Schutzmantel über die exzellenten Traumtänzer, so dass selbst einige expressive Bewegungen des Widerstands in poetischer Melancholie aufgelöst werden.
Dann wird es heiter, ein wenig schräg und am Ende auch ein bisschen traurig. Jetzt also auch in Dresden, Johan Ingers Erfolgsstück „Walking Mad“ von 2001, vielfach inszeniert, 2010 auch schon in Chemnitz. Musik von Maurice Ravel, der Dauerbrenner, „Bolero“. Aber Inger findet seinen eigenen Zugang, gar kein Versuch erst, die Musik nachzutanzen. Besser ist eine etwas verrückte Geschichte. Die hat doch etwas mit dem verrückten Musikstück zu tun, man kann einfach nicht aufhören zuzuhören, wenn man einmal angefangen hat, und es fängt ja so leise, kaum hörbar, an. So auch diese verrückte Reise, „Walking Mad“. Ein Mann, Clown oder Magier, wie sich erweisen wird Jiří Bubeníček als tragikomischer Beziehungsreisender, steigt aus dem dunklen Orchestergraben hinaus und lüftet den Vorhang. Wenn der oben ist, ist er auch auf der Bühne und da steht eine Frau und dahinter eine Wand. Auch wenn davon nichts steht in der Bibel, als Mann und Frau geschaffen waren, gab es auch die Wand, die immer da ist, mal vor dem einen dann vor der anderen, dann wieder zwischen beiden und zudem hat sie immer noch hier und da so etwas wie ein Hintertürchen, einen geheimen Ausgang, eine Fluchtmöglichkeit. Inger treibt den Tanz gegen die Wand, dahinter sind allerlei komische Gestalten, die bewegen das komische Ding und lassen die Bretter auch noch ganz schön tanzen. Mal kommen Männer aus der Wand die sind mit roten Papiermützen komische Gartenzwerge und müssen vor den starken Frauen kuschen. Dann knallen sie das Hindernis einfach um und machen daraus eine Bretterbühne, auf der sie ihren Bolero mit Schuss nur so hin brettern, bis die Bretter krachen. Dann auf einmal ist die Musik weg. Fast weg. Irgendwo, wie ein fernes Echo, immer noch Bolero, nicht tot zu kriegen dieser Sound. Dann wird aus der Wand ein Winkel, da werfen die Menschen zwei Schatten, dabei denkt man, dass doch einer reicht, das ist dann nicht mehr so komisch. Und wieder Ravel mit voller Kraft ins Finale, da hat es dann aber doch den Anschein, dass man gegen diese Flutwelle aus Klangrausch lieber nicht antanzen sollte. Gibt dann noch einen sanften Nachschlag. „Für Alina“, von Arvo Pärt. Na, wollen wir's noch mal versuchen, ein Duett zum sanften Solo für Piano. Noch zu viel Bolero im Mann. Er springt über die Wand. Sie steht da, seinen Mantel in der Hand, braucht er nicht mehr, dem wird nicht kalt, zu viel Ravel in den Adern.
Das Finale sollte stachelig werden. „Cacti“ von Alexander Ekman, vor gut drei Jahren für das Nederlands Dans Theater kreiert, inzwischen auch mehrfach einstudiert, jetzt in Dresden, der Titel ist Programm. Mag sein, dass es Stiche versetzt, wenn der Finalsatz aus Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ verhackstückt wird von live musizierenden und verstärkten Musikern. Denn wird es aufgeschäumt in einer sämigen Orchesterfassung und dann gibt es noch kammermusikalische Häppchen von Beethoven und Haydn. Und Kakteen auf der Bühne als Requisiten, die sehen eher gut aus, als dass sie wirklich stacheln. Aber immerhin, „Tanztheater mit Kakteen und das kindliche Entzücken der Tänzer“, wie es in einem der reichlich zugespielten Texte heißt, das bereitet schon viel Vergnügen fürs Auge. Wenn das Auge folgen kann, denn in teuflischer Geschwindigkeit arbeiten die Tänzerinnen und Tänzer ihre pure Bewegungslust ab, wenn sie hinter Podesten verschwinden, darauf agieren, daraus Räume errichten, sich erhöhen und wie in Trance mit wilden Schlagorgien ihren Körpern percussive Töne abfordern, die dann doch Korrespondenzen zu den zerstörten Klängen der Schubertschen Todesmusik erahnen lassen. Das Ganze wird danach noch in einem grotesken Duett auf einen absurd anmutenden Dialog gebrochen. Sarah Hay und Jiří Bubeníček begeben sich dazu in die sonderbarsten Stellungen und können doch nicht zueinander kommen. Es ist am Ende an allem doch die Katze schuld, die als Leiche aus dem Theaterhimmel fällt, der Tod, das Mädchen, oder der Erlöser am Kreuz, dessen letzte Worte, auf die zumindest musikalisch nach Haydn angespielt wird.
Wenn der Vorhang fällt, die Nordlichter ausgehen, dann mögen einige Fragen bleiben, fraglos aber hat das Semperoper Ballett dem begeisterten Publikum einen grandiosen Abend beschert.
Nächste Vorstellungen: 30.10.; 1. und 7. 11.2013
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