Doppeltes Heimspiel

In Heidelberg zeigt Johann Kresnik sein „choreografisches Theater“ mit der „Sammlung Prinzhorn“ – eine Uraufführung des Theaterstücks von Christoph Klimke

Heidelberg, 22/02/2012

Für Hans Prinzhorn sind es nur noch wenige Sekunden, bis das Eis bricht. In der letzten Szene des „Choreografischen Theaters“ von Johann Kresnik ruft Prinzhorn, vom Ensemble in die Luft gehoben, diese Warnung in den Raum. Nicht nur sein Leben steht 1933 auf dünnem Eis – auch das Treiben außerhalb der Spitalwände geht Zeiten entgegen, die dem Tod bringenden Einbrechen auf dünnem Eis entsprechen. Kresnik erzählt Hans Prinzhorns Geschichte vom Ende her. In 16 Szenen zeigt er seine Hauptfigur vom Typhus gezeichnet und alle Episoden wie aus dem Fieberwahn des Kranken geboren.

Von 1919 bis 1921 ist Prinzhorn Assistenzarzt in Heidelberg und führt die von Emil Kraepelin begonnene Lehrsammlung von Patientenkunst fort. 5000 Zeichnungen, Aquarelle, Ölgemälde, Skulpturen und textile Arbeiten trägt Prinzhorn in zwei Jahren zusammen. In seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ erhalten zehn Künstler-Patienten einen Sonderstatus, indem er sie als seine „Meister“ bezeichnet. Kongenial projiziert Kresnik zusammen mit seiner Bühnenbildnerin Marion Eisele Ausschnitte aus den Arbeiten dieser zehn Meister-Künstler und einer weiteren Künstlerin, Else Blankenhorn, auf die Bühnenwand. Am Beginn von „Sammlung Prinzhorn“ blickt man auf eine mit Silberfolie behängte Wand, die im Laufe des Stücks immer neue Zeichen – Augenpaare, Figuren, Objekte und Strukturen – vorstellt. Vor dieser Zeichenwand spricht der Schauspieler Andreas Seifert als Prinzhorn seinen fiebrigen Text: Mal mit sich selbst, mal im Dialog mit Patienten, Freunden, Ärzten, seinen Ehefrauen und Geliebten oder seinen Eltern. Kresnik fädelt die Figuren um Prinzhorn Szene für Szene ein. Dazwischen tanzt ein Bewegungschor, der im „choreografischen Theater“ von Kresnik nicht fehlen darf. Mal sind es Revue-Posen aus den 20er Jahren, mal sind es soldatische Verrenkungen, die den Gehorsam der kommenden faschistischen Diktatur vorwegnehmen, mal setzt die Gruppe hüftschwingend und akustisch eindrucksvoll mit ihren gletschertüchtigen und mit Spikes besetzten Bergschuhen auf metallenem Bühnenboden ein ohrenbetäubendes Kratzkonzert in Szene. Für empfindliche Zuhörer gab es vorsorglich an der Garderobe Ohrenstöpsel gegen die Hörspitzen im Stück.

Ein doppeltes Heimspiel ist „Sammlung Prinzhorn“, einmal für Kresnik und einmal für sein Thema. Von 1979 bis 1989 hatte der für Provokationen sorgende Tanz- und Theatermacher Kresnik die Leitung der Heidelberger Ballettsparte inne. Hier entwickelte er seinen Stil und formte sein von ihm sogenanntes „choreografisches Theater“. Nach über 20 Jahren ist er jetzt wieder da mit einem Stück über eine Figur und eine Geschichte, die sich in Heidelberg vor nicht ganz 100 Jahren ereignete. Viel Applaus erntete Kresnik auf der Premiere von einem Publikum, das sich auf den Heimgekehrten freute und sich zu erinnern wusste: An eine stilbildende Dekade mit Produktionen, die perverse Auswüchse im politischen wie im sozialen Geschehen an außergewöhnlichen Persönlichkeiten deutlich machte. Macbeth, Ulrike Meinhof, Frida Kahlo oder Ernst Jünger heißen die Protagonisten. Hans Prinzhorn und seine Sammlung ist für Heidelberg und für Kresnik ein thematischer Volltreffer. Er vereint die Abgründe politischer Verirrungen durch das Dritte Reich mit der sozialen Anteilnahme eines Arztes an der Kunst und der Poesie von Geisteskranken.

Weitere Vorstellungen: Fr 24.02., So 26.02., So 11.03., Do 22.03., Fr 23.03., Mo 16.04., Di 17.04.
 

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