playing with dolls

Ambra Senatore überzeugt mit ihrem Puppenstück „Passo“ auf dem Berliner Festival Tanz im August

Berlin, 15/08/2012

Von Christine Madden

Haben wir es hier mit den Stepford Frauen zu tun, oder mit dem Tal der Puppen? Im Zuschauerraum schreibt man das Jahr 2012, aber die Zeit auf der Bühne scheint 1967 stehen geblieben zu sein. Eine Barbie-Puppe mit messerscharfem, schwarzem Pagenschnitt und petrolgrünem Kleid wird mit langsamen, bedachten Bewegungen ihrer steifen Arme und Beine lebendig. Nach und nach gesellen sich ihre identisch hergerichtete Schwester und Brüder dazu. Wenn „Schwanensee“ von den Figuren aus der „Mad Men“ Fernsehserie getanzt werden sollte, würde es so aussehen wie „Passo“.

Dieses hübsche und ausgezeichnet komponierte Stück von Ambra Senatore ist jedoch nicht nur schick wie „Mad Men“, sondern zeigt auch spielerisch einen fröhlichen, beißenden Sinn für Humor. Die italienische Choreografin hat ein Buch über zeitgenössischen Tanz in Italien geschrieben und an der Università Statale di Milano zeitgenössischen Tanz unterrichtet. Die gelungene dramaturgische Struktur von „Passo“ zeugt von ihrem akademischen Wissen und Können, kein Element der Vorstellung und der Choreografie ist überflüssig oder willkürlich hineingezwängt. Immer wieder baut Senatore die Spannung auf, um sie dann fast slapstickmäßig mit unerwarteten Gegenständen oder Gesten platzen zu lassen.

Als die Barbie-Puppe langsam lebendiger wird, gibt es immer mehr Anzeichen, dass sie nicht allein auf dieser Puppenwelt existiert. Ein Arm streckt sich von der Kulisse in den Bühnenraum hinaus; wenn die Tänzerin ihre scheinbare Partnerin an der Hand fasst, zieht sie einen losen Mannequin-Arm hervor. Diesen legt sie zu ihren vorher abgestreiften Schuhen vorne auf die Bühne. Irgendwann zieht sie ihr Kleid aus und wirft es hinter sich, während sie die Bühne verlässt. Es liegt noch auf der Bühne als sie dann wieder auftritt – und zwar mit dem gleichen Kleid – und da kommt auch eine zweite, identische Puppe. Das vorher ausgezogene Kleid wird aufgeräumt und zu dem Arm und den Schuhen in die Ecke gestellt.

Letztendlich stehen fünf Puppen – darunter zwei bärtige – in petrolgrünen Kleidern und strengem Pagenschnitt auf der Bühne. Anfangs kann man sie kaum auseinander halten, mit der Zeit gewinnen sie jedoch immer mehr Individualität. Manchmal puppenhaft, manchmal sehr menschlich, bewegen sie sich synchron als Gruppe oder einzeln, schmeißen sich dramatisch zu Boden, um gleich wieder aufzustehen, plaudern miteinander. Gesellschaftliche Beziehungen werden hier untersucht. Eine pagenköpfige Tänzerin trinkt aus einer roten Thermosflasche. Eine andere runzelt die Stirn, steigt von der Bühne ab und kehrt nach kurzer Zeit stolz und glücklich zurück – mit einem roten Feuerlöscher, der der Thermosflasche sehr ähnlich aussieht, aber natürlich sehr viel größer ist. Eine dritte will nicht überboten werden, geht rechts ab, und bringt einen großen, roten, aufgerollten Teppich zurück und stellt ihn auf der Bühne auf. In einer Welt, wo alle gleich sind, muss man irgendwie doch herausragen.

Das Stück macht einen sympathisch-bizarren Eindruck, als ob Filmregisseur Federico Fellini in seiner Kindheit geträumt hätte, er würde Choreograf spielen und die Puppen im Puppenhaus seiner älteren Schwester herumdirigieren. Das Vielerlei an Musik, das sich mit Straßenverkehrs- oder Fluggeräuschen abwechselt, könnte direkt seinen Filmen entsprungen sein – wie auch der heitere Schein, ganz normal in einer bizarren Welt auszuharren und weiter zu machen, als gäbe es nichts Ungewöhnliches. Das starke Grün und die strengen Linien lassen die Tänzer uniformiert aussehen, das Rot gibt dazu einen starken Kontrast. Insgesamt hat das Aussehen des Stückes eine große Ähnlichkeit mit einem Trickfilm, was natürlich den satirischen Eindruck erhöht. Allmählich fängt der stilisierte Schein an, sich aufzulösen. Eine Perücke war schon runtergefallen. Die nächste und noch eine folgen, alle werden zu den anderen Einzelteilen am Boden gelegt. Die Tänzer haben sich von dem Puppendasein gerettet, und das Gebilde aus Kleidungsstücken am Boden ist alles, was von der Montur übrig bleibt. Nach dem Menschspielen sind die Puppen alle Menschen geworden... oder doch nicht? Ein letztes, augenzwinkerndes Spiel mit dem Schein erlaubt sich Senatore zum Schluss. Vielleicht leben wir alle nichts anderes als ein puppenhaftes Dasein aus. Das heißt aber lange nicht, dass wir darüber nicht lachen können.

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