Preisträger-Gala on Tour

Gastspielreise des 16. Internationalen Solo-Tanz-Theater Festivals startet in Stuttgart

Stuttgart, 22/11/2012

Weiß geschminkt ist der schlanke Körper, abgezirkelt sind die Gesten, schneidend scharf und präzise die Bewegungen im harten Gegenlicht. Blutrot das Kostüm steht die Tänzerin umgeben von einer feinen Dunstwolke akustisch unter Beschuss: „Can I fire?“ – „Come on, let me shoot!“ – „Look at those dead bastards!“. Begleitet von dumpfen Einschlägen erreichte dieser Dialog traurige Bekanntheit als Wikileaks das Dokument veröffentlichte: Ein US-Kampfhubschrauber kreist über Bagdad, der Bordschütze nimmt eine Gruppe von Zivilisten ins Visier und feuert, bis alle reglos am Boden liegen. Das ist kein Videospiel, sieht fatalerweise aber so aus. „Fire and Forget I“ nennt Verena Wilhelm ihr Solo zum authentischen Soundtrack aus dem Netz, unterbrochen von beklemmender Stille, in der nur der heftige Atem der Tänzerin zu hören ist.

Die kritische Stellungnahme zu moderner Kriegsführung war den Juroren Christine Brunel, Cristina Castro, Shane Carroll, Marco Goecke und Samuel Wuersten beim 16. Internationalen Solo-Tanz-Theater Festival in Stuttgart einen dritten Preis für Choreografie wert. Leider nur einen dritten, der erste Preis in derselben Kategorie ging an „Leda“, eine Anklage gegen Abholzung und Vermüllung der Erde des, aus dem Tschad kommenden Rodrigue Ousmane, der zweite wurde dem Israeli Eran Gisin und seinen getanzten Reflexionen über die Jagd nach dem Glück „Emotions, job, emotions, once a day“ zugesprochenen. In der Kategorie Tanz wurde die Kanadierin Eleesha Drennan für „Whiskers“, der Portugiese Hugo Marmelada für „Stepping over Stones“ und der Australier Cass Mortimer Eipper für den von Emma Sandall choreografierten „BodySong“ ausgezeichnet. Die Zuschauer erklärten Marmelada zu ihrem Liebling, er konnte zusätzlich den Publikumspreis mit nach Hause nehmen.

Von Marcelo Santos 1997 in Augsburg gegründet, findet das Internationalen Solo-Tanz-Theater Festival seit 2000 in Stuttgart statt. Koordiniert von der Volkshochschule Stuttgart unter Leitung von Gudrun Hähnel ist der Treffpunkt Rotebühlplatz zum Schauplatz des internationalen Tanzgeschehens geworden. Hier zeigen zeitgenössische Choreografen wie Choreografinnen, junge Tänzer und Tänzerinnen ihre neuesten, ganz individuellen und häufig experimentellen Produktionen – die meisten Stücke sind Premieren – einem tanzbegeisterten Publikum und einer sachkundigen Jury.

Ein tolles Gefühl von 250 Bewerbern zu den 18 Besten, schließlich zu den sechs Ausgezeichneten zu zählen. Den Erfolg können die preisgekrönten Tänzer-Choreografen bei einer kleinen Brasilien-Tour genießen. Jetzt ist die Gala der Preisträger auf Gastspielreise durch Baden-Württemberg in Heidelberg, Karlsruhe, Augsburg, Regensburg, Ulm und Lindau. Den Auftakt macht die Bühne im Treffpunkt Rotebühlplatz, wo das Publikum seine Favoriten mit herzlichem Applaus beglückwünscht. Für viele Zuschauer ein Wiedersehen, hatten sie schon den Wettbewerb im Frühjahr verfolgt, darunter sind manche seit der ersten Runde vor anderthalb Jahrzehnten Fans der Veranstaltung.

Das Interesse am Festival wie an der Preisträger-Gala steigt, verständlicherweise, denn wann sonst hat man die Gelegenheit zeitgenössischen Tanz im internationalen Vergleich so konzentriert und kompakt zu erleben? Zumal die individuellen Feinheiten, die unterschiedlichen Themen, Tanz- und Kompositionsstile, als auch das Fachurteil der Jury viel Gesprächsstoff liefern. Die Gala, mit einer gemeinsamen Improvisation der sechs Preisträger als krönendem Finale, ist noch zu sehen in Regensburg (23.-24.November), Ulm (26.-27.November) und Lindau (28. November).

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