Schnipp Schnapp, die Flügel sind ab

Roland Petits „La Chauve-Souris“ jetzt bei Arthaus Musik wieder zu haben

München, 19/06/2012

/img/redaktion/lachauvesouris_coverdvd.jpg In Jochen Schmidts Choreografen-Enzyklopädie „Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts in einem Band“ wird in dem Choreografenporträt über Roland Petit dessen Werk „La Chauve-Souris“ (auf deutsch „die Fledermaus“) mit keinem Wort erwähnt. Das 1979 entstandene Handlungsballett, basierend auf der Operettenhandlung von Johann Strauss „Die Fledermaus“, ist eine Verwechslungskomödie, die nicht nur aufgrund der populären Melodien den Zuschauer mitreißt. Der französische Choreograf verlegte seine Adaption nach Paris und lässt in Vaudeville-Theatern Cancan und Revue tanzen, ohne dabei auf den gelungenen Mix aus klassischem Spitzentanz und kecken Hüftbewegungen zu verzichten. Auch einige Rollen wie Prinz Orlofsky oder das Stubenmädchen Adele sind minimiert, die Story gestrafft und einige Figuren umbenannt worden. Das große Figurenpersonal aber blieb, für große Ballettkompanien geeignet, erhalten.

Das Ballett der Mailänder Scala studierte Petits Tanzkomödie 2003 ein. Unter der Regie von Tina Protasoni, Jean-Philippe Halnaut und Luigi Bonini, der die Rolle des Ulrich tanzt, bietet Arthaus Musik nun einen Live-Mitschnitt von „Il pipistrello“, ebenfalls 2003 am Mailänder Teatro degli Arcimboldi aufgenommen, an. Aufgrund der großen Nachfrage entschied sich die Arthaus Musik GmbH, die inzwischen ausverkaufte DVD aus dem Jahr 2005 zu reproduzieren. So hat man auch jetzt wieder die Chance, eine überzeugend agierende Alessandra Ferri als vom Alltag gelangweilte und von ihrer Kinderschar gestressten Hausfrau Bella zu sehen. Mit roter Perücke und langem lilafarbenen, hochgeschlossenen Kleid spielt Ferri die Rolle der bürgerlichen Gattin hervorragend. Doch der umsorgte Ehemann Johann, verkörpert von Massimo Murru, schaut gern unter andere Röcke und ist zudem von seinen nächtlichen Streifzügen ermattet. So stielt er sich aus dem ehelichen Bett und fliegt als Fledermaus hinaus zu nächtlichen Vergnügungen – selbstverständlich zum Leidwesen seiner Gattin. Im Vergnügungslokal „Maxim´s“ kennt man den flatterhaften Nachtschwärmer schon. Doch die Verschmähte mit dem sprechenden Namen Bella heckt, angestiftet von ihrem Verehrer Ulrich, einen Plan aus. Luigi Bonino, ein hervorragender Charakterdarsteller auf hohem tänzerischem Niveau, flink und beeindruckend in Sprung- und Fußtechnik, spielt den clownesken Kavalier. Dieser nutzt zwar jede Gelegenheit Bella näher zu kommen, verwandelt sie, die zwischen Rache und Selbstmitleid schwankt, aber in einen sexy Vamp. So begegnet im „Maxim´s“, wo inzwischen das Ensemble des Teatro alla Scala, in aufwendigen, rot-schwarzen Kostümen Walzer-, Cancan- und Revueeinlagen zum Besten gibt, der ahnungslose Johan der geheimnisvollen Attraktiven. Diese wickelt in verschiedene Rollen schlüpfend mit heimtückischem Charme Johann um den Finger. Blindlings und ohne seine Frau zu erkennen, gerät er mitten in seinem Jagdfieber in ein Handgemenge, das die Gendarmerie beendet. Bella löst den Frauenheld aus seiner Haft aus. Nach einem vor Erotik knisternden Duett, schneidet sie Johann die flatterhaften Flügel und Flegeleien ab. Nach dem „Kastrationsakt“ tritt Johann sichtlich gerädert und in bürgerliche Schranken verwiesen seinen Posten als braver Gatte an. Tanzen darf er fortan nur noch mit Bella – so wie in dem Schlusswalzer.

Das Bühnendesign von Jean-Michel Wilmotte ist stark abstrakt gehalten. Die klaren, strengen Linien der oft weißen Requisiten und Bühnenelemente lenken nicht den Blick von den tänzerischen Darbietungen ab. Doch teilweise wirken die Figuren angesichts der extremen Bühnentiefe und -höhe ein wenig verloren. Ganz im Gegensatz zur reduzierten Form des Bühnendesigns stehen die von Luisa Spinatelli entworfenen aufwendigen Kostüme, die allesamt im Fin-de-Siecle angesiedelt sind. Die satten und intensiven Farben der aufwendigen Kostüme und des Bühnenbilds sind, wie die musikalische Interpretation der Strauss’schen Partitur durch das Orchester des Teatro alla Scala unter der Leitung von Kevin Rohdes, während der 93 Minuten Spieldauer mit Genussgarantie wahrnehmbar. Nur ein wenig mehr Bonusmaterial, das immerhin das informative Booklet mit einem Text von Horst Koegler in französischer, englischer und deutscher Sprache zu bieten hat, wäre wünschenswert.


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