Die ewige Jugend von Jerome Robbins und Mats Ek

„Dances at a gathering” und „Appartement“ im Palais Garnier

Paris, 26/03/2012

Jerome Robbins’ Ballett „Dances at a gathering”, 1969 beim New York City Ballet uraufgeführt, ist eine Herausforderung für jede Kompanie. Das Stück kann, je nach Besetzung und Pianist, wundervoll poetisch und lebendig wirken oder sich ziemlich in die Länge ziehen. Ein Meisterwerk ist es ohne jeden Zweifel, doch droht das knapp über eine Stunde lange Ballett etwas belanglos zu wirken, wenn die Tänzer die Atmosphäre der Chopin-Musik nicht auszufüllen wissen. Dies erfordert nicht nur unermüdliche Energie, sondern auch darstellerische Subtilität, da es gilt, trotz aller scheinbarer Handlungslosigkeit die Beziehungen zwischen den Tänzern und ihre verschiedenen Persönlichkeiten und Stimmungen erahnen zu lassen. Einigen Tänzern gelingt dies wunderbar, allen voran Aurélie Dupont in rosa. Mal verspielt, mal melancholisch, immer höchst aufmerksam gegenüber ihren Partnern, hat sie genau das, was man für dieses Ballett braucht: zarteste Leichtigkeit und das Talent, eine einfache Hand- und Kopfbewegung mit Leben und nur vage angedeuteter Bedeutung zu erfüllen. Ihr männlicher Gegenpart ist Mathieu Ganio in braun. Dieser eröffnet den Abend mit einer Variation, in der jedes Rond de jambe mit dem Zirkel in die Luft gezeichnet scheint, ohne dabei kühl und leblos zu wirken. Auffallend sind dabei seine weichen Développés und der weit ausholende, elegante Port de bras, der in diesem Stück, in dem immer wieder Arme sehnend in die Ferne gestreckt werden, besonders wichtig ist. Ansonsten stach noch Agnès Letestu als kokette Dame in grün hervor, die ihr Solo um ein paar achtlos an ihr vorbeigehende Männer mit Charme und Witz gestaltete, sowie die sehr elegante Eve Grinsztajn in violett.

Leider fehlte es dem Rest der Besetzung etwas an Kohärenz, so dass keine rechte Gruppendynamik zustande kommen wollte – darunter litt vor allem die letzte Szene, die wie eine fast reglose Kommunion der Tänzer ist. In den schlichten, fließenden Kostümen (Joe Eula) fielen einige ungewohnte Farbnuancen unangenehm auf, vor allem das senffarbene Gelb und das verwaschene Grün. Am Klavier spielte Ryoko Hisayama zwar sehr korrekt, aber ohne besondere Tiefe. So konnte Robbins’ Choreografie hier nicht ihr gesamtes Potential entfalten, doch ändert dies nichts an der zeitlosen Schönheit dieses Stückes, das wohl noch lange auf den Spielplänen der Kompanien in aller Welt stehen wird.

Darauf folgte „Appartement“, das Mats Ek im Jahr 2000 für das Ballett der Pariser Oper schuf. Provokativ stellt er zu Beginn ein Bidet auf den vorderen Bühnenrand, um das Marie-Agnès Gillot ein hingebungsvolles Solo tanzt. Ihre Kreise um das Bidet, bei denen sie ihre endlos langen Arme und Beine zirkulieren schwingen lässt, werden dabei immer enger, bis sie schließlich unter dem umgestürzten Bidet begraben wird.

Währenddessen schieben sich ein paar unflätig brüllende Herren unter dem Vorhang durch und toben unter lautem Gezeter über die Bühne. Der erste Vorhang hebt sich, und dahinter sieht man Jose Martinez (als Gast aus Madrid eingeflogen, wo er inzwischen die Compañia Nacional de Danza leitet) einen Pas de deux mit einem unförmigen Plüschsessel tanzen. Dabei legt er sich immer wieder mit seinem Fernseher an, den er anschreit, auslacht, anspuckt. Es wird wohl nicht ganz einfach werden, den in Mats Eks Stil höchst versierten Martinez eines Tages in diesem herrlichen, für ihn kreierten Solo zu ersetzen.

Nach dem energiesprühenden Anfang geht es leider nicht ganz so dynamisch weiter, und die Schwierigkeit des Stückes liegt darin, das sehr hohe Spannungsniveau zu halten. Einige ruhigere, zwar einfallsreiche aber doch wenige substanzielle Szenen brechen die Dynamik, vor allem die Kinder- und Embryoszene. Auch der Walzer gegen Ende wirkt inzwischen etwas zu lang, ebenso wie das dröhnende Solo der auf der Bühne postierten Musiker, des schwedischen Fleshquartet. Doch gibt es immer wieder Höhepunkte im Laufe des Stücks, beispielsweise den „Staubsauger“-Marsch, den „Küchen“-Pas de deux zwischen Clairemarie Osta und Jeremie Bélingard und den „Türen“-Pas de deux zwischen Alice Renavand und Nicolas Le Riche. In beiden Pas de deux beweist sich Mats Ek einmal mehr als ein Meister der tänzerischen Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen: Während die Küchenszene Entnervung und Anhänglichkeit eines wohl lange verheirateten Ehepaares zeigt, porträtiert die Türszene poetisch und sinnlich die Begegnung eines sich frisch verliebenden Paares.

Nicolas Le Riche wirkt hierin keinen Tag älter als in der letzten Aufführungsserie vor neun Jahren. Er hat noch dieselbe instinktive Hingabe, dieselbe Bereitschaft, völlig in Musik und Choreographie aufzugehen, die ihn zum idealen Interpreten von Mats Ek Werken machen. Wie der Choreograf selbst vor einigen Tagen im Théatre des Champs Elysées demonstriert hat (siehe auch hier), scheinen seine Stücke tatsächlich die ewige Jugend zu verleihen.

Besuchte Vorstellung: 23.03.2012

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