Tänzerisches Gipfeltreffen

Sylvie Guillem und Mats Ek in „6000 miles away“ im Théâtre des Champs Elysées

Paris, 18/03/2012

Es ist wie ein Abend unter Freunden: 6 Tänzer, 4 Stücke, 3 Choreografen. Geladen sind einige der größten Stars der Tanzwelt, und dennoch ist die Atmosphäre keineswegs glamourös, sondern eher herzlich, spielerisch, konzentriert, experimentell – wie Sylvie Guillem, um die sich der Abend dreht, ohne dass sie dabei großes Aufhebens um ihre Person macht. Und doch ist sie es, die choreografische Giganten wie William Forsythe und Mats Ek beauftragte, Stücke für ihr Programm zu schaffen, das sie im Gedenken an die japanischen Erdbebenopfer „6000 miles away“ nannte.

Der Abend beginnt mit einer Kreation von Forsythe, „Rearray“ für Guillem und den Pariser Danseur Etoile Nicolas Le Riche. Dieses Stück spielt sowohl mit dem klassischen Vokabular, das immer wieder in Arabesken und Posen angedeutet wird, als auch mit Forsythes eigener Handschrift aus Balletten wie „In the middle, somewhat elevated“, das er 1987 für Guillem choreographierte. Hier ist der Stil allerdings sehr viel ruhiger und weicher, und auch die Musik von David Morrow gibt sich diskreter, manchmal sphärisch dahin schimmernd, zuweilen mit ein paar schüchtern-poetischen Klaviernoten durchsetzt. Das Werk, in dem Bewegungen immer wieder ausprobiert, unterbrochen, umgedreht werden, wird durch plötzliches Ausschalten des Lichts à la „Artifact“ skandiert. Bei einem der Blackouts senkt sich der Vorhang, obwohl es auch noch weitergehen könnte. Aufgrund dieses fließenden „work in progress“-Charakters mangelt es dem Stück allerdings an Schwerpunkten, die die Aufmerksamkeit fesseln – zumal das Verfolgen der grauschwarz gekleideten, schwach beleuchteten Tänzer vor dunklem Hintergrund (alles William Forsythe) vor allem ab einer gewissen Distanz zur Bühne einiges an Sehkonzentration erfordert. Dennoch setzt der Choreograf seine Ausnahmebesetzung geschickt in Szene und zeigt dabei ganz nebenbei, dass Guillems außerordentliche Biegsamkeit und Kraft keineswegs der Vergangenheit angehören.

Das folgende Stück von Jiří Kylián mit dem Titel „27’52’’“, das von Aurélie Cayla und Lukas Timulak vor nackter hinterer Bühnenwand zu Mahler-inspirierter Musik von Dirk Haubrich getanzt wurde, blieb etwas kryptisch: die entblößten Oberkörper erinnerten an „Bella Figura“, doch rätselte man über die Bedeutung des mehrsprachig gesprochenen Textes und des Selbstbegräbnisses der Tänzer unter einem Bühnenteppich. Dennoch entfaltete die Begegnung und Verschlingung der Körper, die immer wieder übereinander und aneinander vorbei glitten, stellenweise eine herb-realistische Poesie.

Von da ab stand der Abend ganz im Zeichen Mats Eks, wobei sich hier der Vergleich mit dem derzeit im Palais Garnier getanzten Ballettabend, in dem unter anderem „Apartment“ gezeigt wird, geradezu aufdrängte. Tatsächlich hebt sich in „Memory“ der Vorhang vor einem vollständig möblierten Apartment. Man sieht einen kerzengeraden, gertenschlanken Mats Ek, der seiner Muse Ana Laguna wie ein Schatten auf dem Fuße folgt. Ohne jedes Pathos und mit humorvoller Leichtigkeit erinnern sich die beiden daraufhin an ihre Choreografien, ihre Rollen, ihre Beziehung. Kein Zweifel: Wer Mats Ek tanzt, bleibt immer jung im Geist. Wie ein Mr. Bean des Tanzes erlaubt Ek sich und seinen Interpreten völlig unverfroren jede Bewegung auf der Bühne, die andere unterdrücken würden: das Schütteln, Sich-Kratzen, Husten und Hüpfen scheint hier nicht Teil einer Choreografie, sondern einfach menschlicher Impuls, dem die Tänzer entgegen aller Bühnenkonventionen folgen.

Mehr davon gibt es in „Bye“, einem Solo von Mats Ek für Sylvie Guillem. Hier bedient sich Ek mit großem Geschick einer Videoprojektion, die den Zuschauer glauben lässt, er sehe auf einer türförmigen vertikalen Projektionsfläche (die wiederum an „Apartment“ erinnert), was dahinter stattfindet. Guillem tritt in herrlich unkleidsamer und schlecht kombinierter Garderobe auf (Bühne und Kostüme: Katrin Brännström). Alsbald entledigt sie sich ihrer Schuhe und rosa Söckchen, um ihren unvergleichlichen Füßen die nötige Freiheit zu geben, ungehindert über die Bühne zu huschen. In dem Solo folgen Stimmung und Choreografie stets sehr einfallsreich der Musik (Beethovens Klaviersonate Nr. 32): beispielsweise, wenn Guillem zu drei Klaviertönen gegen eine imaginäre Wand klopft oder in einer Tonfolge in aller Eile einen Fuß vor den anderen setzt, als renne sie über ein Klavier. Ab und zu wirft sie launisch ein Bein in die Höhe, wie nur sie es versteht. Schließlich verschwindet sie wieder hinter der Projektionsfläche und verliert sich in der imaginären Menge, in der unter anderem ein Hund herumstrolcht und sich ein junger Mann misstrauisch nach dem Publikum umdreht. Ein höchst erfrischendes Stück, das einmal mehr das breite Spektrum der einzigartigen Interpretin beweist, an der man sich noch lange nicht satt gesehen hat.

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