Kalte Pracht und Kaufrausch

Gabriela Lang: „Nicht ich bin dick". Performance des Wirkstatt-Ensembles in der Tanztheater Etage Karlsruhe

Karlsruhe, 26/04/2012

Wenn Shoppen zum Selbstzweck wird, der Kaufrausch zum Konsumterror verkommt und das Seelenheil über den Bodymaßindex definiert wird, dann ist auch im Tanztheater die Zeit reif, um über Folgen und Nebenwirkungen nachzudenken. Das zehnköpfige Wirkstatt Tanztheater-Ensemble, unter Leitung der Choreografin Gabriela Lang, hat das im Zweiteiler „Nicht ich bin dick" auf augenzwinkernde Weise getan – mitten in der Karlsruher Innenstadt, wo die Tanztheater-Etage seit 2005 ihr Domizil hat.

„Finger weg! Lass dich nicht verführen! Diese verdammten Süßigkeiten!“. Der Auftritt der Choreografin und Tänzerin beginnt entlang der Frage „Zu dick“ mit einer Textcollage aus Verlockungen und Kasteiungen. „Bin ich zu dick, bin ich einfach nur zu klein, oder sind die Knochen zu schwer? Was ist gesund, was kann ich überhaupt noch essen, sollte ich’s mit einer Diät versuchen?“ Lang tritt als amorphes Wesen auf, das sich aus einem schwarzen Kokon schält. Arme in türkisblauen Strümpfen, die sich wie lange schlanke Beine oder Fühler in den Himmel recken. Das dunkle Kleid mit schleppenartig verlängertem Rock unterstreicht die fluchtartigen Laufbewegungen. Rennen, als wolle sie dem Gedankenrauschen aus Appellen, Fragen und Ratschlägen entkommen; unterbrochen von kurze Stops, als könne man sich dem Sog des Schlaraffenlandes widersetzen entsteht ein zartes Geflecht aus Wortspiel, Tanz und Einsicht: „Man muss den Körper annehmen, wie man isst! Warum nur schleicht sich das Essen immer in das Sein?“ Dem 12-minütigen Solo folgt ein knapp einstündiges Gruppenstück, eine assoziative Szenenfolge aus sechzehn Bildern. „Der Zug ist abgefahren“, pantomimisch ruckelt und zuckelt die Gruppe ins Einkaufsparadies. Wo „Lebensgenuss“ versprochen wird ist „Vollfressen“ die Devise. Unablässig drehen sich alle um die eigene Achse, im Taumel des Überflusses wird alles käuflich und der Mensch selbst zur Ware. „I’m a material girl in a material world“, gleich drei Tänzerinnen werden in den Einkaufswagen gepackt und weggekarrt.

Höhepunkt des Treibens mit gesellschaftskritischen Untertönen ist der Catwalk zum Electro Remix „Satisfaction“. Konsum als Ersatzbefriedigung rauschen die Protagonisten nacheinander herein, in Kostümkreationen, die an die kalte Pracht feudaler Herrlichkeit erinnern. Ausschließlich aus Plastiktüten, entworfen und zusammengetuckert von Marie-Eve Stöckel, parodieren die Performer die Parallelwelt des schönen Scheins, wirken in ihrer reduzierten Beweglichkeit wie Figurinen aus Schlemmers „Triadischem Ballett“, die beim Strip die „Re-Humanisierung“ erproben und mit René Aubrys „Memories du Futur“ einen „Lichtblick“ anzusteuern. „Ganz toll! Müsst ihr noch oft aufführen! Hätte Lust mitzumachen.“ schreibt eine Besucherin der No-Budget-Produktion ins Gästebuch. Andere stimmen zu: „Kurzweilig, spaßig, amüsant – einfach Klasse!“ heißt es da. Oder kurz und bündig: „Die Kostüme sind der Knüller!“

 

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