Der Stellvertreter Terpsichores

Horst Koegler gestorben

Stuttgart, 11/05/2012

Man könnte ihn als Ballettpapst bezeichnen, auch wenn sich Horst Koegler eine solche Kanonisierung immer verbeten hat. Doch das schlohweiße Haar, das sich wie ein Strahlenkranz um seinen kahlen Schädel wand, hat ihm – zumindest von hinten gesehen - etwas unfreiwillig Heiliges gegeben. Und wenn er bei einem der Internet-Auftritte ex cathedra zu seiner Gemeinde sprach, wenn er in seinen Kritiken die guten von den bösen Schäfchen trennte und bei passender, aber auch unpassender Gelegenheit gleich noch die halbe Mannschaft der seinerzeit noch existierenden Zeitschrift „ballet-tanz“ mit zum Teufel wünschte, hatte er ganz unwillkürlich etwas von einem Stellvertreter Terpsichores. Am liebsten hätte „oe“, da bin ich mir ziemlich sicher, auch im Ballett die Bulle eingeführt. Denn dann hätte sich zumindest jene Kritikerin, der er bereits sein Beileid aussprach, von seinem Bannstrahl getroffen fühlen und nach Canossa, sprich: nach Stuttgart gehen und Buße üben müssen - quasi zwangsverpflichtet als Teilnehmer einer seiner geradezu legendären Premierenpartys, nach denen so mancher sein zuvor gefälltes Urteil revidierte.

Schließlich wusste jeder, der Koegler etwas besser kannte, dass ihm selbst das Ballett nicht immer heilig war. Koegler sagte zwar stets, was Tanz ist. Aber er räumte sich ganz und gar unpäpstlich gleichzeitig das Recht zum Irrtum ein, und das machte die Auseinandersetzungen mit ihm letztlich zu einem lehrreichen Abenteuer. Denn der „erste“ Ballettkritiker im Nachkriegsdeutschland (so Kollege Klaus Geitel 1992 in seinem schönen Beitrag anlässlich der Verleihung des deutschen Tanzpreises an Horst Koegler) wusste natürlich mehr als jeder andere, und er teilte dieses Wissen uneigennützig wie kein anderer. „Friedrichs Ballett-Lexikon“ (1972), das „Oxford Dictionary of Ballet“ (1977) und „Reclams Ballettlexikon“ (1984), nur um die unverzichtbarsten seiner Bücher zu nennen, geben davon nach wie vor Zeugnis.

„Der Koegler„ ist nach Geitels Worten, „in welcher Form, welcher Sprache auch immer, das unentbehrliche Hilfsmittel für die Sondierung des Faktenreichtums, den das Ballett seit Jahrhunderten auswarf. Mit Koeglers Hilfe wurde der Tanz wertungsfrei überschaubar.“ Mit preußischer Disziplin hatte sich Koegler seine Präzisions- und Pointenkunst erarbeitet, selbst wenn er eigentlich der Mark Brandenburg entstammt. Noch vor seiner Tätigkeit als Dramaturg und Opernregisseur in Görlitz hatte er bereits über das Metier geschrieben. Und währenddessen und danach erst recht - als freier Journalist, der er von 1951 an ohne Unterbrechung war, unbeeindruckt von all den verlockenden Angeboten, doch noch an eines unserer Theaterhäuser zurückzukehren: bis 1959 in Berlin vor allem für die „Welt“, zwischenzeitlich in Köln hauptsächlich als Kritiker der „Stuttgarter Zeitung“, deren Musikredakteur er von 1977 an hauptamtlich gewesen ist.

Von Stuttgart aus erteilte er auch nach der Pensionierung vor zwanzig Jahren im tanznetz noch seinen Segen urbi et orbi: ein Kritikerpapst, dem das Ballett der Bundesrepublik nicht nur den Durchbruch eines John Cranko zu danken hat. Koegler hat sich in jeder Beziehung um den Tanz verdient gemacht. Vor allem hat er zeitlebens so viele Jünger um sich geschart, dass man sich um den Tanz in Deutschland zumindest journalistisch nicht zu sorgen brauchte. Gerhard Brunner, Helmut Scheier, Hartmut Regitz, Horst Vollmer, und wie sie alle heißen, sind durch seine Schule gegangen, ohne dass sie deswegen ihre Eigenart eingebüßt hätten. Nicht päpstlicher als der Papst zu sein, das war eine Kardinaltugend, auf die sich ein Koegler etwas einbilden konnte. Er hat seine künftigen Kollegen bei aller Kritik in ihrer Freiheit belassen, das zu schreiben, was sie für richtig hielten. Dazu gehört eine Größe, die nicht jedem gegeben ist. oe hatte sie immer gehabt. Heute ist er nach kurzer Krankheit, gut einen Monat nach seinem 85. Geburtstag, den er mit der Übergabe der Koegler-Bilbiothek an die Staatliche Ballettschule Berlin, würdig gefeiert hat, im Stuttgarter Diakonissenkrankenhaus gestorben. Er wird uns sehr, sehr fehlen.

 

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