Blick in die Ausstellung „Tanz!Kritik! - Von Kritikern, Päpsten und Liebenden“ im Deutschen Tanzarchiv Köln

Blick in die Ausstellung „Tanz!Kritik! - Von Kritikern, Päpsten und Liebenden“ im Deutschen Tanzarchiv Köln

Tanz auf der Titelseite - das war einmal

Jahresausstellung im Museum des Deutschen Tanzarchivs Köln

Der schreibenden Zunft unter den ZuschauerInnen und BeobachterInnen von Ballett und Tanz widmet das Deutsche Tanzarchiv Köln seine diesjährige Schau „Tanz!Kritik!“.

Köln, 05/04/2019

„Von Kritikern, Päpsten und Liebenden“ im Deutschen Tanzarchiv Köln heißt der Untertitel. Sie reisen dem Tanz hinterher, sitzen mehrmals pro Woche irgendwo im Parkett und gucken, staunen, philosophieren oder rümpfen mitunter die Nase über Ballett, Tanztheater und Performance in den altmodisch samtenen Theatersesseln der Weltmetropolen oder auf harten Stühlen in der tiefsten Provinz - Damen wie Herren, blutjunge AnfängerInnen neben alten Hasen. Eins eint sie alle, wenn sie's ernst meinen und Tanzpremieren nicht bloß zum Zweck journalistischer Fingerübung oder als Möglichkeit für studentischen Nebenverdienst besuchen: sie schreiben aus Liebe zum Tanz.

Das Deutsche Tanzarchiv Köln widmet seine diesjährige kritische Auseinandersetzung mit der Tanzgeschichte in der schmalen Flucht seiner Museumsräume der immer schmaler werdenden Phalanx der Tanz-BeschreiberInnen seit dem 19. Jahrhundert.

Als Entree zu der Schau mit Fotos, Zeitungsausschnitten und Filmen gruppieren die Kuratoren Thomas Thorausch, Leiter des Museums und stellvertretender Archiv-Direktor, und der Ausstellungsarchitekt Klaus-Jürgen Sembach eine Auswahl satirischer Aufmacher in den Top-Journalen von Wien, London und New York - Tanz als Bühnenkunst oder als politisches Statement und gesellschaftliches Ereignis beim Wiener Kongress als Opernball. Auf einer anderen vergilbten Zeitungsseite glotzen feiste ältere ‚Ballettgucker‘, genüsslich geil lächelnd, durch ihre Operngläser auf die zierlichen Ballerinen wie vordem indische Brahmanen auf Tempeltänzerinnen, die nach dem (einst heiligen) Ritual ins Separée gelotst wurden - bis diese Perversion verboten wurde.

Auf den Trennwänden mit (identischen) Zeitungsausschnitten aus dem Rheinland fällt sofort das schwarz-weiße Foto einer Gruppe von Ausdruckstänzerinnen ins Auge. Rührend unscheinbar nehmen sich daneben sepiafarbene Schreibmaschinenseiten aus, in denen z. B. die Choreografin Dora (später Deborah) Bertonoff und der Tanzliterat und Förderer der Goethe-Institute Max Niehaus ihre Sicht auf Sinn und Sichtweise von Tanzkritik definieren. Angepinnte Kritiken zu entziffern erledigt sich schnell - trotz Ausstattung mit großer Lupe, betont freundlich an der Rezeption ausgeliehen. Wie peinlich, dass sie mir bei der Besichtigung auch noch aus den mit Kamera, Block und Stift beladenen Händen glitt und klirrend in ihre Bestandteile zerbrach. Eine Freud'sche Fehlleistung? Denn KritikerInnen lesen ja angeblich nie, was die KollegInnen schreiben - beteiligte KünstlerInnen tun das schon gar nicht. Außer Pina Bausch, die Kritiker-Papst Horst Koegler zu dessen 80. Geburtstag mit dem Faksimile seiner früheren negativen Kritik über ein neues Stück des Tanztheaters Wuppertal gratulierte und sich bedankte, dass er trotzdem noch immer zu den Premieren komme und sie stets neugierig auf seine Einschätzung sei.

„Mit spitzer Feder“ wie der Berliner ‚Papst‘ Klaus Geitel schreibt das einst „literarisch-journalistische“ Genre der Theater-, Musik- und Ballett-KritikerInnen längst nicht mehr. Kritik ist eine brotlose Kunst geworden. Veröffentlicht wird heute, was LeserInnen und HörerInnen in Theater und Musikhallen lockt - möglichst per Vorbericht oder Interview. Reklame für Stars ist angesagt bei den ‚Abnehmern von Rezensionen‘.

Eine künstlerische Innovation unterstützten allerdings schon die Ex-Tänzerinnen Leonie Dotzler-Möllering und Elli Müller-Rau, die der umstrittenen Mary Wigman zu ‚guter Presse‘ verhalfen. Worum es den genervten Gegnerinnen seelenloser klassischer Ballette wie Isadora Duncan, Mary Wigman und Pina Bausch ging, belegen Fotos, Bücher und Presseberichte von den drei mutigen Revolutionärinnen in Vitrinen und auf fotografischen Banderolen. In kleinen Nischen auf der Wand dahinter laufen nonstop Filmmontagen mit Ausschnitten aus Choreografien der Damen im Wechsel mit Zeitungsrotationsmaschinen.

Überhaupt: trotz Noverre, Taglioni und Bournonville - das Thema Tanz gehörte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich den Frauen. Die deutschen Kritiker-Päpste Klaus Geitel (1924-2016) und Horst Koegler (1927-2012) leiteten nach dem Zweiten Weltkrieg den Genderwechsel ein, der ja auch - Maurice Béjart sei's gedankt - die Aufwertung von klassischen Ballerinos wie Rudolf Nurejew einschloss. Das Phänomen: kaum ein deutscher Tanzkritiker oder -fotograf trainierte früher im Ballettsaal und stand je auf der Bühne. Der unvergessene Vater des Deutschen Tanzarchivs Kurt Peters und Starfotograf Gert Weigelt sind die größten Ausnahmen.

Horst Koegler pflegte eine besondere Affinität zum Stuttgarter Ballett, ging aber publizistisch bis ins hohe Alter technisch mit der Zeit mit - zuletzt mit seinem „koeglerjournal“ für das Online-Portal „tanznetz.de“. Er blieb immer ein Herr, bescheiden und seriös, wohlwollend dem begabten tänzerischen wie journalistischen Nachwuchs gegenüber.

Ein anderes Naturell hatte der gebürtige Berliner Klaus Geitel. Der Band seiner Kritiken von 1959-1979 „man ist kühn genug, um unmodern zu sein“, herausgegeben von den Tanzarchiv-Leitern Frank-Manuel Peters und Thomas Thorausch, liegt in druckfrischen Stapeln im Foyer des Tanzmuseums. In einem ausführlichen Interview kurz vor seinem Tod beruft sich „der beliebte Partylöwe“, der Kontakte in alle Kunstsparten pflegte, auf die Quelle seines beruflichen Selbstbewusstseins: sein angeborenes schriftstellerisches Talent. Seine feuilletonistische Schreibweise nennt sich heute „Infotainment“ (allerdings ist das Bildungsniveau deutlich gesunken) und fände in der Medienwelt kaum noch Abnehmer. Dabei kannte und beherzigte Geitel sehr wohl auch die Maximen des Tageszeitungsgeschäfts: strikt vorgegebene ‚Deadline‘ und Zeilenzahl.

Der etwas später geborene, aber leider früh verstorbene Jochen Schmidt (1936-2010) war der ‚global player‘ im Triumvirat der deutschen Kritiker-Päpste. Der studierte BWLer und Krimiautor reiste für die FAZ jahrzehntelang durch die Welt und holte in den 1980er Jahren als Kurator des „Internationalen Tanzfestivals NRW“ die aktuell weltbesten Kompanien und SolistInnen nach Nordrhein-Westfalen. Das kleine Rondell des Tanzmuseums ist ihm gewidmet, der, wie so viele, seinen gesamten beruflichen Nachlass dem Deutschen Tanzarchiv vermachte. Auf die runde Wand sind bisher nie veröffentlichte Schnappschüsse von Pina Bausch auf der Indien-Reise des Tanztheaters Wuppertal 1994, die Schmidt begleitete, montiert. In der Mitte des kleinen, offenen Raums thront auf einer Säule Schmidts alte „Olympia“. Was für eine köstliche Überleitung zur Installation mit dem Video eines amerikanischen Tapdance-Duetts über die Tastatur einer Schreibmaschine mit einer Gruppe liegender, langbeiniger Chorusgirls, die die jeweils angeklickten Buchstaben tippen.

In den 1980er Jahren wurde Deutschland international und hierzulande zum „Tanzland“. Magazine schossen aus dem Boden, von veritablen KennerInnen mit Passion für den Tanz: 1981 gründete Kurt Peters seine kritische Zeitschrift „Tanzarchiv“, das „Ballett-Journal“ folgte. 1982 startete „ballett international“, 1986 „tanz aktuell“ und 1987 „tanzdrama“. Damals waren die Blattmacher - Kurt Peters, Ulrich Steiner, Rolf Garske und Hedwig Müller - noch auf Augenhöhe mit den Tänzern. Heute besteht nur noch das Berliner Monatsmagazin „tanz.“

Gegenwart und Zukunft der Berichterstattung über die heute so vielschichtige, globalisierte Tanzszene - einschließlich der Tanzpädagogik - gehören, wie Horst Koegler schon früh erkannte, Online-Portalen wie „tanznetz.de.“ Aber das ist ein anderes Thema. Im Rahmenprogramm zur charmanten Kölner Schau ist eine Gesprächsreihe mit heutigen ‚Liebenden‘ angekündigt. Tanz auf der Titelseite eines renommierten Printmediums wie anno dazumal etwa der London oder New York Times, Le Monde oder FAZ - das war einmal....

TANZ!KRITIK! Von Kritikern, Päpsten und Liebenden.
Bis zum 26. 1. 2020 täglich außer mittwochs von 14-19 Uhr im Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln, Im Mediapark 7 (3. OG), 50670 Köln. www.sk-kultur.de

„>man ist kühn genug, um unmodern zu sein< Klaus Geitels Tanzkritiken 1959-1979“, hrsg. von Frank-Manuel Peter und Thomas Thorausch, 335 S. broschiert. Henschel Verlag, Leipzig 2019, 18,00 €

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern