Amerikanische Tanzgeschichte in sprühender Gestaltung
„Dance Theatre of Harlem“ mit vier historischen Balletten bei Arthaus
DVD des Dance Theatre of Harlem mit ihren Repertoirewerken „Fall River Legend“, „Troy Game“, „The Beloved“, „John Henry“
/img/redaktion/harlem.jpg Arthur Mitchell gründete das „Dance Theatre of Harlem“ 1969, da tanzte er noch als Solist in George Balanchines New City Ballet. Damals war er einer der wenigen farbigen Tänzer, die sich in der (neo)klassischen Szene durchgesetzt hatten. Der Mord an Martin Luther King war ihm ein Ansporn, dieses bis dato einmalige Ensemble ins Leben zu rufen. Das Vorurteil, farbige Tänzer/Innen könnten klassisches Ballet auf Grund ihrer Physis nicht tanzen, hatte Mitchell schon selbst widerlegt, nun folgte der Beweis „en masse“: Mit seiner Kompanie „eroberte“ er sich Ballette wie „Giselle“ (im kreolischen Ambiente), Balanchines „Agon“ und „Concerto barocco“. Mit seiner Truppe tourte er durch die USA, gastierte 1981 an der Royal Opera, Covent Garden, in London, 1988 in Russland, 1992 in Südafrika. Auf der besprochenen DVD „Dance Theatre Of Harlem“ (1989) zeichnen die Tänzer/Innen Spuren der amerikanischen Tanzgeschichte nach: 1948 schuf Agnes de Mille ihre „Fall River Legend“. Im gleichen Jahr kreierte Lester Horton „The Beloved“. Robert North brachte 1974 sein Ballet „Troy Game“ heraus − mit durchschlagendem Erfolg. 1988 lief die Premiere von „John Henry“, choreografiert von Arthur Mitchell. Aufgenommen wurden die vier Werke 1989 mit dem Danish Radio Concert Orchestra. Sparsame Bühnenbilder, kaum Beleuchtungseffekte, Kostüme ohne Schnickschnack: die Ausstattung einer Truppe, die auf Tourneen geht.
/img/redaktion/dancetheatreofharlem4.jpg Scheinbar simpel erzählt de Mille (1905−1993) die Story des Mädchens/der Frau Lizzie, die ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt umgebracht haben soll. Virginia Johnson, heute Leiterin des Ensembles, setzt als Lizzie die Akzente präzise, seien es kleine Staksschritte auf Spitze, sei es das Flattern der Hände. Die innere Unruhe Lizzies übersetzt sich ins Äußere: Sie kann nicht an einem Platz ruhig sitzen, muss umhergehen, laufen. Eine stimmige Darstellung der Johnson gekoppelt mit sauberer Technik, die sie eisern durchhält. Einen nur mühsam gebändigten bigotten Sadismus vermittelt Stephanie Daney (Stiefmutter) mit einem Blick, mit einer bestimmten Geste der Hand am Wangenknochen. Hugues Magen klemmt als schwacher Mann dazwischen. Die langsam hervordrängende Tat, die nicht gezeigt wird, erwächst aus den Spannungen nach dem Tod der Mutter (anrührend: Lorraine Graves), aus der Bigotterie der Stiefmutter, der Feigheit des Mannes. Diese intensiven Szenen, in einer Mischung aus klassischem Tanz (Spitzenschuhe) und modernem Idiom gestaltet, kontrastieren mit Momenten des scheinbar unbefangenen Dorflebens. Morton Gold hat dazu eine teils kantige Musik geschrieben mit Einflüssen von Bartók und Strawinsky. In der Gruppe werden technische und interpretatorische Brüche deutlich, die den jeweiligen Spannungsbogen für einen Moment unterbrechen, die Figur fällt gewissermaßen aus der Rolle, wird privat. Das ist noch nicht Spitzenklasse, sondern „nur“ respektabel und entwicklungsfähig. Ein Ballett mit einer Botschaft.
Nur acht Minuten braucht’s in Hortons „The Beloved“, einem Zweipersonen-Drama, dann ist der Mord vollbracht. Beide sitzen auf hochlehnigen Stühlen, getrennt durch die Länge des Tisches. Nach Verlesen eines Bibeltextes mit drohendem Unterton „There is no spot on thee“ schleift der Geistliche seine Frau auf den Knien zu sich heran. Aus diesem Ansatz entwickelt sich eine bohrende körperliche Kraftprobe. Holzschnittartig herausgestanzt verwendet Lester Hortens (1906−1953) in seinem „Beloved“ einfachste Bewegungen. Überzeugungskraft gewinnt das Drama durch die brennende Cassandra Phifer. Sie stellt sich ihrem Gatten – Hugues Magen eindimensional im immer finsteren Ausdruck − furchtlos in den Weg, weist mit beredter Gestik und Körpersprache seine Anschuldigungen zurück. Aber er ist besessen von der „Schuld“ seiner Gattin, die der mehr als einen Kopf größere Mann gewaltsam zu beherrschen versucht, aber auch streichelt, nicht weit weg von der Vergewaltigung, vom Mord. Ein wenig erinnert das Stück an José Limons „The Moor’s Pavane!“ (1949), dessen unausweichliche Stringenz und gleichzeitige Vielschichtigkeit Horten bei weitem nicht erreicht. Die Moral der Geschichte ist eindeutig.
/img/redaktion/dancetheatreofharlem1.jpg Mit „John Henry“ versucht sich Arthur Mitchell an einem Arbeiterdrama. Mit der Kraft seiner Arme, einen schweren Hammer in jeder Hand, kämpft Gleisarbeiter John Henry (Eddie I. Shellman als kraftstrotzender Henry, Archetyp des Arbeiters) gegen die Maschine (Ronald Perry) − und besiegt sie. Zuvor demonstrieren die Männer, wie man choreografisch Schienen legt, John Henry hämmert die Nieten fest (Folksong: „ain’t no hammer“). In der Pause fährt Mitchell eine Sprung- und Drehorgie der Männer über die Gleisanlage auf. Yvonne Hall als Girlfriend/Wife ragt mit ihrem dynamischen Temperament heraus. Henry hat sich übernommen, er stirbt nach dem Kampf. In einer Art Kehraus versammeln sich alle zu einem stimmungsvollen Finale, mit sicherer Hand von Mitchell arrangiert im Raum. Die Zuschauer sollen etwas Positives, quasi Erhebendes mitnehmen, erläutert Mitchell in einer Einführung. Und das kriegen sie.
/img/redaktion/dancetheatreofharlem2.jpg Diesen Unterhaltungsfaktor bedient Robert North (*1945) in seinem sehr bekannten „Troy Game“ zu hundert Prozent. Mit einfacher Bewegungserfindung, die kaum je über konventionelle Vorbilder hinausgeht, nimmt North in dem reinen Männerstück Machogehabe auf die Schippe. Höchst unterhaltsam und amüsant ist es, wenn die Herren der Schöpfung in ihren knappen Höschen und mit freiem Oberkörper – wer hat, der hat − auf die denkbar unterschiedlichste Art und Weise scheitern − zum Schmunzeln der Zuschauer. Jeder tritt hervor und zeigt, getrieben von der knackigen, Percussion betonten Musik, was er drauf hat an Technik, Kraft und Persönlichkeit. Ihnen gelingt es bei aller Tanzfreude aber nicht, eine gewisse Schwerfälligkeit abzuschütteln: Die Pointen werden dick aufgetragen, nicht nonchalant lässig aus dem Ärmel geschüttelt. Probleme mit der Technik, den synchronen Abläufen lassen keine Souveränität aufkommen, mit der quasi von oben herab mit dem Bewegungsstoff gespielt wird. Gleiches trifft mit Abstrichen auch auf die übrigen Werke zu. Es wäre interessant, das Dance Theatre of Harlem heute, zwanzig Jahre später zu sehen.
Und es geht weiter: Auf der Homepage des Ensembles ist jetzt Vortanzen am 25.February angezeigt, erwartet werden „classically trained male and female (on pointe) dancers”. Wir freuen uns derweil beim Ansehen der DVD an wichtigen Werken der amerikanischen Tanzgeschichte.
DANCE THEATRE OF HARLEM DVD mit Fall River Legend, Troy Game, The Beloved, John Henry 1990 120 Minuten ARTHAUS Musik
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