Wagner, getanzt für Anti-Wagnerianer

Peter Breuer inszeniert und choreografiert „Siegfried“ für die Birgit-Keil-Truppe

oe
Karlsruhe, 22/11/2011

Aufgewachsen in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, zwölf Jahre lang von 1933 an als Schüler, Pimpf, Hitlerjunge, Marinehelfer, Arbeitsdienstler, und noch als Rekrut zur Verteidigung des Kaiser-Wilhelm-Kanals gegen die heranrückenden Engländer eingesetzt, im kriegszerbombten Berlin bei den ersten Theaterbesuchen unentwegt mit Wagner-Opern konfrontiert, bin ich, für den Rest meines zu Ende gehenden Lebens unheilbar mit dem Virus des Anti-Wagnerismus infiziert worden. Und bin jetzt mit entsprechender Skepsis zur zweiten Vorstellung des abendfüllend von Peter Breuer am letzten Wochenende in Karlsruhe uraufgeführten „Siegfried“-Balletts gefahren. Und muss bekennen, mich über zweieinhalb Stunden lang glänzend über das spektakuläre tanztheatralische Ballettical amüsiert zu haben. Und jetzt als journalistischer Blogger KEINE Kritik darüber schreiben zu müssen, sondern meiner Fantasie freien Auslauf lassen zu können, ist vorteilhaft.

Also bekenne ich als eingefleischter Anti-Wagnerianer mir an diesem Abend wie auf einem Reichsballetttag vorgekommen zu sein. Librettisiert vom Ballett-Propagandaminister Josef Goebbels (alias Andreas Geier), in Szene gesetzt von Albrecht Speer (alias Breuer), designt in schwarz-roten Ballett-Hässlichkeit-Trikotuniformen von Dorin Gal, beschallt von Wagner-, Liszt- und John Adamsklängen, die von Christoph Gedschold wie ein Tsunami aus den Musikern der Badischen Staatskapelle hervorgekitzelt und lautstark ganz ohne die sonst übliche Rücksichtnahme auf die Sänger in den Raum projiziert wurden. Mit großem Tanzpersonalaufwand und leicht gegenüber dem Wagnerschen Originallibretto verändertem, aber immer noch erkennbarem Ablauf. Mit einer Lady namens Uta (aber nicht von Naumburg) als kassandrascher Verwandter der Nibelungen-Urmutter Erda. In Gang gesetzt als Zickenstreit zwischen Kriemhild (in Karlsruhe Bruna Andrade) und Brünhild (Barbara Blanche) – erkennbar als Alternativen zu Magda Goebbels und Emmy Sonnemann-Göring. Nebst Gunther (Flavio Salamanka) und Hagen (Andrey Shatalin) und eben jenem Siegfried als Anti-Helden, der so gar keine Ähnlichkeit mit unserem idealen Nachkriegs-Siegfried namens Peter Hoffmann, sondern als Südafrikaner eher mit Nelson Mandela hat und in Karlsruhe Admill Kuyler heißt. Darüber hinaus gibt es in Karlsruhe noch einen kleinen Zoo symbolistischen Getiers sowie Alberich und Etzel.

Und so wird in Karlsruhe getanzt, dass die Fetzen fliegen, in Soli, Pas de deux, kleineren und größeren Gruppen und großen Corps-Formationen, hervorragend getanzt, musikalisch diszipliniert, gesprungen, geliftet und pirouettiert, von Breuer nach bewährten Mustern und handwerklich bestechend arrangiert, dass das Auge kaum mitkommt mit dem, was beide Ohren kaum aufnehmen können. Wagner, Wagner, Wagner – und darüber hinaus Liszt und Adams bis zum Gehtnichtmehr (und darüber hinaus). Und das Publikum des vollen Hauses ist hingerissen von den famosen Tänzern und applaudiert ihnen, die an diesem Abend wieder alle Ehre einlegen für ihre Chefin, die allseits verehrte Birgit Keil. Und selbst der eingefleischte Anti-Wagnerianer muss zugeben, dass er sich keinen Moment gelangweilt hat – und allerdings mit Beklemmung dem entgegensieht, was in zwei Jahren im Wagner-Gedenkjahr auf ihn zukommt.

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