Liebeserwachen

„Daphnis und Chloë“, „Bolero“ und „Quattro forme per corpi“ von Ralf Dörnen in Greifswald

Greifswald, 24/01/2011

Von unseren 13 Tänzern stehen nur sechs auf der Bühne, der Rest sind Gäste, erzählen Ralf Dörnen und Sabrina Sadowska nach der Premiere. Schwangerschaft und Krankheit haben beim Ballett Vorpommern die Reihen gelichtet: Wir fangen gerade mal wieder neu an. Seit 1997 zeichnen der Ex-Solist bei John Neumeier als Ballettdirektor und Chefchoreograf, die gebürtige Schweizerin als Stellvertreterin und Ballettmeisterin für die Geschicke jener an den Häusern Greifswald, Stralsund, Putbus agierenden Kompanie verantwortlich. In knapp 14 Spielzeiten haben sie ihr Ensemble über Höhen und durch Tiefen geführt und weit über die Region hinaus popularisiert. Im Sinn seines Hamburger Meisters choreografiert Dörnen Handlungsballette und sinfonischen Tanz, weshalb sein Spektrum von „Endstation Sehnsucht“ nach Tennessee Williams bis zum Brahms-„Requiem“ und Bachs „Goldberg-Variationen“ reicht. Und mit viel Lob, sogar einer Nominierung für den Theaterpreis „Faust“ bedacht wurde. Gelobt wird ebenso der tänzerische Standard des Ensembles, was Sadowskas Freud und Dörnens Leid sein mag. Schon so mancher schaffte, kaum hatte er Format gewonnen, den Sprung an große Häuser, jüngst zu Martin Schläpfer nach Düsseldorf. Wie sehr Tänzer den Choreografen inspirieren, ist bekannt. Insoweit hat die Umbruchssituation am Stammsitz Greifswald auch Auswirkungen auf die choreografische Arbeit.

Mit der trat Dörnen, nach dem Bilderbogen „4+1 - Die Elemente“ zu Musik verschiedener Epochen, nun ein weiteres Mal in dieser Saison an die Öffentlichkeit. Zwei Komponisten steuern Musik bei: Der eine, Maurice Ravel, rahmt mit impressionistischen Werken eine energetische Komposition des als Dirigent bekannten Tschechen Rafael Kubelík. Dass alle Musik vom Band kommt, stört wenig und bietet dem Tanz als erweiterte Szene das überdachte Orchester. Eine wasserblau gewellte Kurtine stimmt auf „Daphnis et Chloé“ ein, Ravels 1912 bei den Ballets Russes mit Tamara Karsawina und Vaslav Nijinsky als Protagonisten uraufgeführtes sinfonisches Auftragswerk für Orchester und Chorvokalisen. Auch Dörnen behält die von Longus in seinem Hirtenroman aus dem 3. Jahrhundert eingeführte Personnage bei, reduziert sie indes auf die wesentlichen Figuren und ihre Hauptsituation: das Erwachen der Liebe. Dass der Choreograf die Gestalten nicht ins Heute rückt und auch Claudia Kuhrs Kostüme sie in einer stilisierten Antike belassen, ist bedauerlich. So umspringen munter Schafe und Widder die scheu Verliebten, die manche Prüfung zu bestehen haben. Daphnis erfährt von Lykainion die Liebe, ehe er sie mit Chloé erleben darf; die erliegt erst dem derberen Werben des Rinderhirten Dorkon, muss danach Piraten entrissen werden. Zu Dörnens stärksten Schöpfungen zählt nicht, was da an wenig charaktervollem Tanz über die Bühne geht, doch auch magische Momente hat: wenn etwa Daphnis im Spiel mit einer Muschel der raffinierten Lykainion an den Mund läuft, Chloé mit Dorkon ein virtuoses Duett zu bestehen hat. Balanchines Musen waren Pate der Nymphenpose, Béjarts „Blume“ aus „Sacre du Printemps“ zitiert das Finale: Im Liebesrausch geht auch die Hirtin weit in die Rückenbeuge. Yoko Osaki als Chloé überzeugt, Nathan Cornwall, blutjung, braucht als Daphnis noch Ausstrahlung, die Gruppe einige Übung mehr im Synchrontanz.

Besser wussten sich der Choreograf und drei Paare in Kubelíks „Quattro forme per archi“ zu präsentieren, einer viersätzigen Komposition für Streicher von 1956. Dörnen gestaltet in seinen „Quattro forme per corpi“ vor der Abstraktion eines warmen Sonnenuntergangs das Auf und Ab menschlicher Beziehungen. Auf Spitze geht es um Sehnsucht, in varianteren Mustern auch, wenngleich die Tänzer eher ausführen als mitfühlen. Format haben die Kostüme für die Männer: Schwarze Gaze flirrt über orangefarbenen Trikots. Nur noch Orange kleidet beide Geschlechter im dritten Teil, dem von Vielen erwarteten musikalischen Knaller des Abends. Dörnen legt seinen „Boléro“ auf Kreislinie an: Sie ist der Parcours, auf dem die Tänzer einzeln die Arena der Begegnung betreten, bevor sie sich zu sechs Paaren fügen. Der Choreograf spielt mit dem anschwellenden Gestus der Musik, hat Gespür für Steigerungen in einer Komposition, die attraktiv endet: Wie Mikadostäbe fallen die Tänzer um, in ihrer Mitte hebt ein Mann seine Partnerin weit gespreizt dem roten Spalt, einer entzündeten Vulva gleich, im Hintergrund entgegen.

Wieder 26.2., Stralsund

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