Himmlische Wesen - Beifallsstürme für das Ensemble um Choreograph Ralph Dörnen

„Engel“, das neue Projekt des Balletts Vorpommern

Greifswald, 15/11/2007

Von Markus Kowalzyck

Was ist ein Engel? Ein himmlisches Wesen? Ein Geschöpf zwischen den Dingen und zwischen den Welten? Oder doch eher ein Konsumgut zwischen Schokolade und Laubsägearbeit? Das Ballett Vorpommern hat sich unter der Leitung seines Direktors Ralf Dörnen auf eine „choreographische Spurensuche“ begeben und aus den Assoziationen einen fantastischen Tanzabend zusammengestellt. Die Premiere am Sonnabend im Greifswalder Theater be- und verzauberte das Publikum.

Ein Anlass, sich mit Himmelswesen zu befassen, war für Ralf Dörnen die „Konjunktur“, die Engel, Schutzengel zumal, in der weltlichen Welt der Gegenwart genießen. Umfragen zufolge glaubt die Hälfte der Menschen an (persönliche) Schutzengel, und insbesondere auf Schokoladen- und Plätzchenverpackungen in der frühherbstlichen Vorweihnachtszeit sind Engel allgegenwärtig. Im (hervorragend gestalteten) Programmheft ist zu lesen, wie sich seit archaischen Früh-Kulturen die Vorstellung von Engeln als geflügelte, vogelartige Wesen über Jahrtausende erhalten hat. Auch die Bibel beschreibt geflügelte Engel (Seraphim und Cherubim), lässt aber (wohlweislich) offen, in welcher Gestalt und in welchem Gewand Engel sich den Menschen zeigen.

Aus all dem und aus einer musikalischen Collage zwischen Barock und Bushido hat Ralf Dörnen eine emotionale Choreographie geschaffen. Zwar orientiert sich die Inszenierung des Balletts zunächst stark an kirchlich-biblischen Bildern, Motiven und Themen. Das schadet im abendländischen Kulturkreis natürlich in keiner Weise, und auch mit Flügeln ist die Aufführung von großer assoziativer Breite. Wie bereits die letzten Uraufführungen zeigt auch diese Inszenierung: Ralf Dörnen kann es einfach, und das Ballett Vorpommern tut es ihm gleich. Es scheint inzwischen gleichgültig, welches Thema sich das vorpommersche Dream-Team vornimmt. Es würde, kulinarisch ausgedrückt, wohl auch aus einem alten Schuh noch eine Köstlichkeit zaubern.

Ohne jeden Zweifel sind schon die Tänzerinnen und Tänzer selbst ein schöner Anblick, erst recht, wenn sie engelsgleich über die Bühne schweben. Das Ballett „Engel“ verdeutlicht und verdichtet auch andere Stärken des Ensembles: Neugier, Mut, Lust und die Freude am Tanz. Die dramaturgischen Ideen sind beinahe typisch für Ralf Dörnen: Er kreuzt gewissermaßen Musik und Tanz, indem er modernes Ballett zu klassischer Musik und klassisches Ballett zu moderner Musik zeigt. In diesem Wechsel ist Platz für freie Assoziationswechsel, die die Tänzerinnen und Tänzer solistisch und gemeinsam entfalten. So tanzen Ion Beitia und André Luiz Costa ein köstliches Putten-Duett mit gepufften Höschen, bevor das Publikum mit einem Schocker in die Pause geschickt wird.

Auch die moderierte „Modenschau“ nach der Pause schockiert, nämlich als sehr heitere Variété-Nummer mit Engels-Modellen aus aller Welt und aus Anklam (Modell „Otto Lilienthal“) – augenscheinlich eine Gelegenheit für die Kostüm- und Bühnenbildnerin Cornelia Brey, sich mit ihren Fantasien nach Herzenslust auszutoben. Und wieder ein Wechsel: Kaum hat das Publikum sich ausgelacht, folgen Meindert Peters und Alexander Simpkins mit einem anrührenden, zauberhaften Duett des Erzengels und des gefallenen Engels. Wechsel: ein grausames und dramatisches Solo in Zwangsjacke von Star-Tänzerin Barbara Buck. Und so weiter.

Dieses Wechselbad der Gefühle endet schließlich in einer Kissenschlacht mit fliegenden Daunen und Federn. Die Welt der Engel ist eben doch eine Traumwelt, in die das Publikum sich mit Vergnügen hat locken lassen. Die Beifallsstürme sind eine Huldigung des Publikums an einen famosen Ballettdirektor und sein famoses Ensemble.

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