„Giselle“: Gözde Özgür und Matej Urban.

„Giselle“: Gözde Özgür und Matej Urban.

Klassenkampf macht irre

Das Bayerische Staatsballet gastiert mit „Giselle“ von Mats Ek in Bonn

Bonn, 13/07/2011

Der Zahn der Zeit nagt unerbittlich. Dass „Giselle“ in der Fassung von Mats Ek aus dem Jahre 1982, seit 1996 beim Bayerischen Staatsballett, vor gut einem Jahr in neuer Besetzung wieder aufgenommen, jetzt beim Gastspiel im Bonner Opernhaus zu überzeugen mag, liegt in stärkerem Maße an den Tänzerinnen und Tänzern aus München als an der sonderbaren Eindeutigkeit der Fassung, die ein wenig zu klassenkämpferisch daher kommt. Was vielleicht ambivalent gemeint sein könnte, wirkt letztlich doch zu direkt. Hier die ländliche, kräftige und arbeitsame Gesellschaft strammer Burschen und Mägde, da die Feinen aus der Oberschicht beim Ausflug aufs Land. Hier die schicken Kleider, da schlichtes Grau und Schwarz und mächtig große Eier bei einem Fruchtbarkeitstanz.

Giselle, das so naiv wie direkt handelnde, nach landläufiger Meinung auch etwas zurückgebliebene Landkind mit der lustigen Mütze und der wahnsinnigen Sehnsucht nach Nähe und Zuneigung, passt in keines der beiden Muster, daher muss sie an die Leine gelegt werden, was aber so ganz ernst nicht gemeint ist, denn Giselle, die gerne in der gespreizten Hocke agiert um dann mit vehement verkantete Sprungvarianten zu verblüffen, kann ihre Fessel selber lösen. Liebeshungrig stürzt sie auf den ahnungslosen Mann aus der anderen Welt, das ist Albrecht, der ganz in Weiß daher kommt. Ihn haut das um, und schon liegen beide eindeutig am Boden. Das Kind will ein Kind und stopft schon mal den schmalen Leib mit einem Kissen aus. Das alles geschieht vor der üppigen Fantasielandschaft einer frauenkörperähnlichen Hügellandschaft mit steilen Brustbergen.

Völlig klar, das alles geht nicht gut, auch Hilarion, der sich in einer aufrichtigen aber nicht gänzlich freien Liebesbeziehung zu Giselle bewegt, kann den Wahn nicht verhindern und so begegnen wir im zweiten Teil Giselle nicht im nächtlichen Zauberreich der Willis, sondern im Ambiente körpervernichtender Sterilität einer psychiatrischen Einrichtung. Die Myrtha der Emma Barrowman ist hier die gestrenge Mutter Oberin. Ob es eine personelle oder eine inhaltliche Entscheidung ist, dass sie im ersten Teil die nicht sehr dankbare Partie der Bathilde gibt, bleibt unklar. Während es für Giselle keine erlösende Befreiung gibt, hat Albrecht eine Chance, indem er alle Hüllen ablegt und aus erlösender, embryonaler Nacktheit durch Hilarion geschützt und gekleidet den Schauplatz verlassen kann. Zweifellos eine berührende Geschichte, der es aber doch ein wenig zum einen an Stringenz und Geheimnis zum anderen mangelt.

Wie bereits gesagt wartet das Bayerische Staatsballett mit einem beglückenden Ensemble und drei wunderbaren Protagonisten in den Hauptpartien auf. Da ist der charaktervolle Norbert Graf als Hilarion von überzeugender Wirkung bei kraftvollem Tanz. Matej Urban gibt in natürlicher Eleganz und geschmeidiger Stilistik dem Albrecht wahrhaft tragische Konturen und die jugendliche Natürlichkeit, vereint mit rasanter, tänzerischer Brillanz der Gözde Özgür in der Titelpartie begeistert außerordentlich.

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