„Drei Welten“ in Zwickau

Ein neuer Ballettabend belegt die Stärke der Kompanie

Zwickau, 07/03/2011

Eine „Neue Welt“ gibt es ja schon in der Sächsischen Stadt, in der Robert Schumann geboren wurde. Die Zwickauer Neue Welt ist ein Konzert- und Ballhaus in prächtiger Jugendstilausstattung, das es ebenso zu sehen lohnt wie etliche andere attraktive Bauwerke und Plätze einer Stadt mit viel Geschichte und recht munterer Gegenwart. Zur Neuen Welt kommen jetzt „Drei Welten“, so der Titel des aktuellen Ballettabends des Theaters im historischen Gewandhaus mit moderner Ausstattung, bei guter Sicht von allen Plätzen. Seit eineinhalb Jahren ist Torsten Händler Chef der 14-köpfigen Kompanie des Doppeltheaters Plauen und Zwickau. In jeder Saison einen großen Abend fürs Ballett mit Orchester hat Händler versprochen. Letzte Saison choreografierte er Prokofjews „Cinderella“, ein voller Erfolg, auch im zweiten Jahr beständig ausverkauft. Jetzt, mit etlichem Rückenwind seitens der Zuschauer und einer gut aufgestellten Kompanie, ein so neues wie hier noch ungewöhnliches Angebot. Ein Abend, drei Teile, keine Handlung, Musik des 20. Jahrhunderts, immerhin zum Finale Ravels „Bolero“ von 1928.

Wegen der dramaturgisch klugen Zusammenstellung lohnt zunächst der Einblick in die musikalisch höchst unterschiedlichen Welten dieses Abends. Zunächst der erste Satz aus Henryk Mikolaj Góreckis dritter Sinfonie von 1976, auch bekannt als „Sinfonie der Klagelieder“. Das ist energiegeladene Musik bei resonanzintensiver Streichergrundierung der Bässe in dynamischem Aufstieg zur religiösen Melodik alter polnischer Kirchenlieder. Ein Sopransolo – ganz wunderbar gesungen von Judith Schubert aus dem Ensemble des Theaters – mit einem Mariengesang verstärkt den ungewöhnlichen Emotionsraum dieser ersten Klangwelt.
Gänzlich anders dann Igor Strawinskys Konzert für Klavier und Holzbläser, zu dem die Orchestergruppe mit den Bässen die Pianistin auf der Bühne einrahmt und der Dirigent Tobias Engeli schon mal gewillt ist mitzutanzen. Auch kaum zu vermeiden bei so rhythmischer Musik. Doch als gelte es ein mahnendes Signal nicht zu überhören, immer wieder ein Trauermarschmotiv in diesem Werk von 1950, das gekonnt Anklänge barocker Welten in denen des 20. Jahrhundert verortet.

Als Dauerbrenner, rund um die Welt, vielfach bearbeitet, mehrfach vertanzt, Maurice Ravels raffiniert instrumentierte Steigerung einer recht einfachen Melodie. Natürlich verblüfft immer wieder die Unerbittlichkeit dieser Sogwirkung, die sich auch bei vielfachem Hören nicht verringert. Schon mal rein musikalisch wird diese Klangwelt, die wir zu kennen meinen, aufgebrochen durch die beinahe übergangslose Kombination mit einer Komposition ganz anderer Art von Ravel. Zunächst nämlich erklingt die flächige, melodische Melancholie der „Pavane pour une infante défunte“ in einer Orchesterfassung. Und auch optisch, tänzerisch, überzeugt dieser Abend mit seinen drei Welten, deren Assoziationen die unseren gehörig erweitern.

Zunächst verortet Torsten Händler Góreckis universelle Klage in die bekannte Welt, gleich da wo man das Theater nachher wieder verlassen wird. Drei Paare vor einer Projektion des nächtlichen, dunklen Zwickauer Marktes. Tasten, Suchen, Finden. Vereinzelung und Gemeinsamkeit, Annäherungen, kurze Momente der Zweisamkeit jeweils in der doppelten Spiegelung. Händlers Art, einen Tänzer die Tänzerin an sich zu ziehen, auf zu heben, sie dann in leicht abstrebender Haltung einen Moment verharren zu lassen und beide danach in veränderter Einstellung auf neue eigene Wege zu entlassen, kann man hier besonders gut sehen und würdigen. Später, in der Pavane, im Bolero nimmt er auch die Spiegelung in ganz anderer Weise, vor allem materialisiert, wieder auf. Die Sängerin, in leuchtendem Rot, bewegt sich zwischen den Tänzern, wird einbezogen und wie eine Erscheinung wieder dieser Welt genommen. Unwahrscheinlich lange Stille, bevor erst zögerlich, dann immer stärker der Beifall es dem Publikum ermöglicht, sich emotional an dieser „Melancholia“ genannten Eröffnung aktiv zu beteiligen.

Dann ein Schnitt. Eine andere Welt. Die wird zunächst eingerichtet, wir sehen den Technikern bei der Arbeit zu, die Musiker kommen auf die Bühne, die Tänzer vereinzelt auch schon, dann sind alle da. Es geht los. „Konzert für fünf Männer“ nennt Thomas Hartmann seine Choreografie. Große Sprünge, Drehungen, gekonnte Stürze, dazu wird mit langen roten biegsamen Stäben agiert, Spielzeuge und Waffen, alles wechselt so rasch seine Bedeutung wie Rhythmen und Bewegungen dieser höchst musikantischen Welt. Ausstatterin Manuela Geisler hat die munteren verschmitzten Herren in grün grundierte Patchworkanzüge gesteckt, deren Farbigkeit an die Kostüme der Harlekine erinnert und den Geist der Commedia dell'arte beschwört. So gibt es bei kraftvoller Männlichkeit viel Spaß um verdrängte Spiellust und im Spiel verborgene Militanz. Alles ohne Zeigefinger, dafür mit viel Humor unter einer heiteren Videoprojektion bunt schwirrender Teilchen, deren Ursprungsort im Manne ganz nach Lust und Fantasien zu verorten sind.

Und dann noch „Bolero“? Wie oft vertanzt, artistisch, erotisch, als Feier des Rhythmus, beschwörend archaisch oder belustigt als Wiederholungszwang alter Damen im Häkelclub der Volkssolidarität. Wie schon gesagt, die Kombination mit der keuschen Pavane eröffnet doch noch eine andere Welt dieser Musik. Jetzt hat die Bühne eine spiegelnde Rückwand, dahinter einen Raum in dem Tänzerinnen und Tänzer sitzen. Davor eine als Quadrat am Boden begrenzte Fläche. Zunächst ein Duett, verspielte Stimmung aus Unschuld, Freiheit und zartem Umgang bei Mihaela-Roxana Dorus und Nathanael Alexander, der auch im Bolero eine quasi solistische Funktion behalten wird. Gibt die Spiegelung hier schon optische Reize, so beim Bolero erst recht, zu dessen Steigerung alle weiteren Tänzerinnen und Tänzer den abgegrenzten Raum immer kleiner werden lassen, in der optischen Vervielfältigung aber ein Trugbild falscher Weite entsteht. Für den Einzelnen wird's enger, am Ende ist der Tanzboden in viele kleine quadratische Welten gegliedert. Jeder Tänzer auf engstem Raum im Zwang der Steigerung durch Wiederholung bis die Militanz der Musik Zerstörung, Chaos und Zusammenbruch provoziert. So geht diese Reise durch mindestens drei Welten zu Ende, klanglich, optisch, emotional, eine Reise ohne Handlung im eigentlichen Sinn, aber von eminenter Bildhaftigkeit. Auf der Bühne, das verlangt der Tanz, die Kunst der Leichtigkeit aus großer Strenge, beim Zuschauer die große Freiheit.

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