Die Heimkehr des verlorenen Sohnes

Das Bayerische Staatsballett startet seine Festwoche mit John Neumeiers "Illusionen - wie Schwanensee"

oe
München, 28/04/2011

So ist er denn auferstanden, pünktlich zu seinem 125. Todestag, aus seinem zwangsverordneten geistesnächtlichen Exil – zurückgekehrt nach München. Doch nicht etwa in die Residenz, sondern in sein geliebtes Nationaltheater. Und auch da nicht in die Loge, aus der er so viele Privatvorstellungen verfolgt hat – nein, direkt auf die Bühne, wo er seinem geliebten Bayernvolk vorführt, wie er der geworden ist, als der er in die Geschichtsbücher eingegangen ist: Ludwig II., König von Bayern.

Und wäre doch so viel lieber Tänzer gewesen, wie er sich in der abgeschlossenen Zelle seines Zwangsgefängnisses erinnert, vor dem Modell seines im Bau befindlichen Schlosses auf Herrenchiemsee, in Rückbesinnung auf dessen Richtfest, und wie er damals herumgetollt ist und –gebolzt ist mit seinen Kumpels vom Bau – ein fröhlicher Junge, etwas pikiert beobachtet von seiner Verlobten, der Prinzessin Natalia. Da hatte ihm John Neumeier ein herrliches Fest ausgerichtet, toller als alle Münchner Oktoberfeste, und Jürgen Rose hatte ihm die opulente Kulisse gebaut, im reinsten wittelsbachischen Himmelsblau. Freilich auch damals schon immer begleitet von dem Mann im Schatten, der geheimnisvollen Schlemihl-Exzellenz, der ihn zum Schluss wieder in seine Arme schließen wird, um mit ihm abzutauchen in die unergründlichen Gewässer des über die Ufer getretenen Schwanensees.

Dazwischen hatte ihn freilich ein weiteres Bühnenmodell an das nächtliche Abenteuer am Gestade des Schwanensees erinnert, an die Separatvorstellung, in der er selbst die Rolle des Prinzen Siegfried übernommen und der verzauberten Prinzessin Odette ewige Treue gelobt hatte. Um sich, aus allen Träumen gerissen, wieder in seine Zwangszelle zurückkatapultiert zu finden. Doch wenn er das Fenster öffnet, dringt der Lärm des Balls der Nationen von draußen herein und befördert ihn abermals in das Fest bei Hofe mit seinen Karnevalsfiguren und der hier nun im Mittelpunkt stehenden Prinzessin Natalia, einer Powerfrau, die ihm mit ihren Fouettés schier den Kopf verdreht, so dass er wieder zurückgleitet in das Zwischenreich, in dem er nicht mehr unterscheiden kann, was ist noch Realität, was schiere Imagination.

Fünfunddreißig Jahre nach der Hamburger Premiere des Balletts „Illusionen – wie Schwanensee“ hat John Neumeiers Produktion endlich heimgefunden an den Ort, wo sie hingehört und die diesjährige Ballettfestwoche eröffnete – umjubelt wie die Heimkehr des verlorenen Sohnes, beschworen mittels der Zauberklänge Tschaikowskys, wie sie Michael Schmidtsdorff aus den Musikern des Staatsorchesters förmlich herauskitzelte. Realisiert von den Mitgliedern des Bayerischen Staatsballetts – an der Spitze der hochelegante Marlon Dino als König, mit Olivier Vercoutère als seinem Schatten, mit Lucia Lacarra als Prinzessin Natalia quasi als Vorgängerin von Alice Schwarzer, und Daria Sukhorukova als armes Hascherl Odette, die freilich keine Chance hatte gegen die auftrumpfende Prinzessin Lacarra, mit großem Handwerkergefolge, Bauernmädchen, nebst bayerischem Hochadel in blitzenden Uniformen und ganzen Heerschafen von Schwänen, mit denen man den ganzen Chiemsee hätte beschwanen können.

Gleichviel hatte man (ich) die Hamburger Premiere von 1976 stärker als dramatisches Ereignis mit Max Midinet und Fred Howald in Erinnerung. Dennoch denkt man in München 2011 darüber nach, wie es denn wohl gewesen wäre, hätten Ludwigs Eltern ihn nicht gezwungen, König zu lernen, sondern ihm eine Ausbildung als königlicher Hofoperntänzer ermöglicht, denn dann wäre er nicht dem präpotenten Richard Wagner begegnet, sondern dem gleichgesinnten Peter Tschaikowsky. Und der hätte ihn vielleicht angeregt, anstelle der grässlichen Mord- und Totschlagsgeschichte um die Nibelungen eine apollinische Tetralogie mit Göttervater Jupiter als Zentralfigur anstelle des unsympathischen Wotans zu schreiben. Und er hätte ihm vielleicht ein Ballettfestspielhaus auf Herrenchiemsee gebaut.

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