50 Jahre Stuttgarter Ballett

Eine Kompanie tanzt auf der Höhe ihrer Zeit

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Stuttgart, 26/02/2011

Stuttgart rief: und alle (na ja, fast alle) strömten herbei – nicht etwa um gegen Stuttgart 21 zu protestieren, sondern um sich mit Stuttgart 50 zu solidarisieren: aus Peking und Sydney, aus Santiago und New York, aus Toronto und London, aus Mailand/Moskau und Antwerpen (nur Paris fehlte) und natürlich aus der BRD. Und so wurde drei Wochen lang gefeiert, morgens, nachmittags und abends: Direktoren und Chefs, Senioren und Alumni (da musste ich erst im Wörterbuch nachschlagen: Zöglinge), Ehemalige und Heutige, Fans und Freaks, viel Mittelalter, aber auch Junge und Jüngste, Stuttgarter und Reingeschmeckte, das Stuttgarter Ballett und seine Mitglieder nebst den Lokalmatadoren, die Schule und alle und jeder auch ein bisschen sich selbst. Lauter Wiedersehensschreie: ach Du, wo kommst Du her, wo lebst Du heute? Und alle, fast alle schwammen im Glück – nur die eine oder andere Rezensentin ausgenommen.

Ich war nicht bei allen Veranstaltungen dabei. Meine Höhepunkte waren das Hamburg-Gastspiel mit Neumeiers „Nijinsky“ und die Wiederbegegnung nach langen Jahren mit „Las Hermanas“ des jungen MacMillan (und die Erinnerung daran, wie viele García-Lorca-Ballette es damals gab – und heute?). Auch das verrückte Duo „Shutters Shut“ von Lightfoot/León würde ich dazu rechnen und den erstaunlichen Pas de trois, den Cranko 1971 für die israelische Batsheva-Kompanie schuf und der erst jetzt seine deutsche Erstaufführung erlebte, eine Choreografie von geradezu Balanchinesker „Apollo“-Skulpturalität. Erstaunt war ich, wie die lange nicht gesehenen „Fratelli“ von Bigonzetti an dramatischer Dichte und energetischem Drive gewonnen haben. Und erstaunt war ich über mich selbst, dass ich so gar nicht die Begeisterung der Kollegen für Forsythes „Impressing the Czar“ teilen konnte – die mich freilich schon bei ihrer Premiere 1988 nicht überzeugten, weil mir schon damals die ewige Quasselei in den beiden Rahmenstücken gründlich auf die Nerven ging (und daran hat sich bis heute bei mir nichts geändert, dass ich diese Text-Plappereien – ob nun von Forsythe, Spuck oder Breiner – für den reinsten publikumsverstörendsten Unfug halte).

Alles in allem war‘s eine stolze Leistungsschau, auf die Anderson und seine Mitstreiter stolz sein können. Nur ein Defizit bleibt: dass sich auch zu diesem Jubiläumsanlass der Cranko-Erbe nicht dazu durchringen konnte, endlich die lange überfällige Cranko-Stiftung ins Leben zu rufen. Wenn ich bedenke, was der in den achtunddreißig Jahren, die seit Crankos Tod vergangen sind, alles an Tantiemen für die in aller Welt getanzten Cranko-Ballette kassiert hat … Und wenn die Finanzierung des geplanten Neubaus der Cranko-Ballettschule nach wie vor nicht gesichert ist, fragt man sich natürlich, ob nicht zumindest ein Teil dieses angehäuften Kapitals als Anschubfinanzierung dafür beigesteuert werden könnte. Zumal, wenn man sich daran erinnert, dass der von allen Seiten hochgelobte Neubau der Schule des National Ballet of Canada in Toronto zum großen Teil von Walter Carsen finanziert wurde, dem weltweit bekannten Mäzen aus Toronto – der Stadt, die Anderson als Sprungbrett in seine heutige Position als Stuttgarter Ballettintendant diente.

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