Zu große Fußstapfen

Rebecca Hoppés Bildband „Ballett“ mit Tänzerinnen und Tänzern des Hamburg Ballett

Hamburg, 11/11/2010

Für ihre Diplomarbeit hat die Fotografin Rebecca Hoppé das Hamburg Ballett zwischen 2003 und 2007 immer wieder begleitet. Jetzt ist das Material – analog und ausschließlich schwarz-weiß mit einer Hasselblad fotografiert – als Bildband erschienen, unter dem ebenso schlichten wie anspruchsvollen Titel „Ballett“. Rebecca Hoppé, 33 Jahre alt, war selbst sechs Jahre lang Schülerin bei John Neumeier. Der Tanz ist ihr also nicht fremd. Für die Fotografie hat sie ein großes Vorbild: ihren Urgroßvater, den Fotografen Emil Otto Hoppé (1878-1972). Er hat Anfang des vorigen Jahrhunderts in London nicht nur die Königsfamilie portraitiert (King George V. und Queen Mary), sondern auch die Künstler seiner Zeit, darunter Tänzer der Ballets Russes wie Tamara Karsavina, Sofia Fedorova, Michel Fokin und – natürlich – Vaslav Nijinsky.

Hoppé Senior war ein Großmeister der Schwarz-Weiß-Fotografie, der Licht und Schatten kunstvoll kombinierte, und der es verstand, seinen Bildern die Seele des Augenblicks einzuhauchen – ganz egal, ob er Architektur, Menschen oder Landschaft fotografierte. Vor allem die Porträts sind aussagekräftig –Unschärfe setzt er gezielt ein, nie zufällig, nie absichtslos. An den zwei im Buch mit abgedruckten Aufnahmen von Vaslav Nijinsky und Tamara Karsavina von 1911 wird das augenfällig deutlich. Die Urenkelin gibt sich nun redlich Mühe, diesem großen Erbe gerecht zu werden – aber es gelingt ihr nicht so recht. Zu gestellt mutet das alles an, zu gewollt, künstlich und teilweise gar geschmäcklerisch sind ihre Tänzerporträts im ersten Teil des Buches.

Skulpturengleich lässt sie die Tänzer posieren – häufig nackt oder fast nackt, wohl um die Körperlichkeit noch zu unterstreichen. Das mag ästhetisch sein oder auch dekorativ – aber es ist auch nichts Besonderes oder besonders Neues. Teilweise fragt man sich auch, was das Foto eigentlich aussagen soll: z.B. die unscharf und grobkörnig über die Doppelseite gezogenen vier nebeneinander liegenden Spitzenschuh-Paare, die Heather Jurgensen für ihren Auftritt in Balanchines „Jewels“ benötigt, oder das auch als Titelbild verwendete Foto von Joelle Boulogne im weißen Tutu, das ihr von den schmalen Hüften rutscht.

Es sind vorwiegend gestellte Bildmotive, die nicht aus der Bewegung heraus geboren worden sind und fremd, künstlich, und teilweise auch kitschig erscheinen. Auch porträtiert Hoppé mit ihren Fotos die Tänzerpersönlichkeiten nicht wirklich – die Posen und Haltungen sind austauschbar und wenig aussagekräftig für die- oder denjenigen, die/der sie ausführt. Das ist schade und hinterlässt beim Betrachten eine eigenartig distanzierte Leere. Diese Tänzer bleiben immer fern, sie berühren nicht im Herzen.

Vielleicht ist das aber gerade gewollt, schreibt doch Heather Jurgensen, 1991-2007 Erste Solistin in Hamburg, in ihrem Vorwort: „Rebeccas Sicht auf die Tänzer verwandelt sie in herrliche Geschöpfe und lebende Skulpturen. Sie sind Kunstwerke, und man kommt ihnen insofern nicht als Mensch nah. Sie bewahren ihre Geheimnisse, während sie, für einen kurzen Moment, in gesteigerter Versenkung faszinieren.“

Im zweiten Teil des Buches folgen dann Momentaufnahmen von Bühne und Ballettsaal. Man sieht Tänzer backstage, vor dem Schminkspiegel, in der Maske, in den Gassen, sich aufwärmend hinter der Bühne oder aus der Gasse heraus auf der Bühne fotografiert. Da sind einige wenige schöne Spotlights dabei aus „Parzifal“ oder der „Kleinen Meerjungfrau“, die den Moment einfangen – aber so richtig packend und bewegend ist keines der Fotos, auch hier bleiben die Tänzer ferne, seltsame Wesen, und die Motive eher trivial. Ballettfotografie gehört sicher mit zu den schwierigsten Disziplinen der Fotografie. Gilt es doch, sowohl die Dynamik der Bewegung einzufangen als auch die Seele des Tanzes, des Tänzers und des Moments. Ballett zu fotografieren, ist deshalb eine hohe Kunst und immer ein Wagnis. Rebecca Hoppé kann da noch einiges lernen.

„Ballett“ von Rebecca Hoppé, Edel Verlag, Hamburg, 207 Seiten, 36 Euro

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