Hauert goes Yoga

„You’ve changed“ bei der Ruhrtriennale

Essen, 16/09/2010

Mit der Deutschlandpremiere von Thomas Hauerts Choreografie „You’ve changed“ auf Pact Zollverein begann die erfreulich umfangreiche Vorstellungsreihe internationaler Tanzproduktionen bei der diesjährigen Ruhrtriennale – eine vielschichtige Kreation aus Video und Live-Performance, sakral anmutendem A-capella-Gesang und Jazz-Improvisationen (Komposition: Dick van der Harst), ergänzt und arrangiert zum Raumklang durch elektronischen Sound (Peter Van Hoesen). Eine meditative, fernöstliche Aura mischt sich mit kindlicher Spielfreude und Unbefangenheit. Die fünf Tänzer und zwei Tänzerinnen (die dritte fehlte bei der Premiere) von Hauerts Compagnie ZOO treten barfuß in bunten Overalls auf, die an Kinderschlafanzüge erinnern. Ungekünstelt wie naive Malerei wirken die Bewegungsmuster mitunter – oder wie Yogaübungen. Immer wieder gefrieren kleine Gruppen zum Tableau, oder Einzelne verharren lange in Posen. Wenn sie einander umschlängeln, in weiten Sprüngen und Läufen den Raum durchmessen, wirken ihre Bewegungen fließend, geschmeidig und verblüffend vielgestaltig: dort geht ein Zittern durch den Körper, hier werden gespreizte Zehen himmelwärts gereckt, Hände knicken in den Gelenken weit nach innen oder außen. Einer kauert „unendlich“ lange kugelrund, die Arme im Oval kerzengerade nach oben gestreckt.

Im Verlauf des etwas mehr als einstündigen Auftritts gewinnt die Körpersprache an Raffinement, Virtuosität und – bei aller Homogenität von Hauerts Vokabular – auch an Individualität. In diesem Punkt wird Hauerts Ansatz, der Beziehung von Tanz und Musik nachzuspüren, am deutlichsten: ähnlich der barocken Polyphonie (imitiert in den Gesängen der drei Frauenstimmen) und der Jazz-Improvisation der kleinen Band mit jeweils autonomer Stimm- oder Instrumentalführung, tanzt jeder solistisch und zugleich als Glied der Gruppe. Den Gruppeneffekt unterstreichen die teilweise simultan laufenden Videoprojektionen auf der milchig-bleichen Gazewand vor der Tanzfläche, die die Tanzenden mit allerlei filmischen Effekten - wie Zoom und Zeitraffer - verfremden, und einem schwarzen Rückprospekt, über den weiße Gestalten schemenhaft und schließlich wie kopflose Gespenster huschen. Ohne einander zu berühren oder auch nur wahrzunehmen, bewegen sich alle lautlos, konzentriert, in sich gekehrt. Erst zehn Minuten vor Schluss umfängt Hauert unvermittelt - hastig, kurz, kraftvoll - eine Tänzerin, wenig später die andere und mehrere Tänzer. Auch andere berühren einander schließlich: endlich nimmt man „die anderen“ wahr. Über zwei „Menschenhäufchen“ am Boden ersterben schließlich Licht und Klang. 

www.ruhrtriennale.de / www.pact-zollverein.de / www.zoo-thomashauert.be

 

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