The Sonic Life of a Giant Tortoise

The Sonic Life of a Giant Tortoise

Alltagsbanalität und Wunschträume

Toshiki Okadas neues Stück „The Sonic Life of a Giant Tortoise“ bei der RuhrTriennale

Essen, 08/10/2011

Zwischen Realität und Fantasie, Alltagsbanalität und Wunschtraum pendeln die fünf Menschen in Toshiki Okadas neuem Stück „The Sonic Life of a Giant Tortoise“, das als eine der letzten Premieren der RuhrTriennale auf Pact Zollverein über die Bühne ging. In schlichtem Jargon wird Wahrheitssuche betrieben, Sehnsucht offenbart, werden geheimste Gedanken, Nöte und Ängste formuliert. „Wie kann man der Scheinheiligkeit entkommen? Was ist Lüge – was wahre Aussage?“ wundert man sich. „Ich hätte gern ein erfüllteres Leben“, sinniert eine der beiden jungen Frauen. Reisen würde sie allzu gern – mehr als nur U-Bahn fahren, weit weg – nur: wohin? Und wie? Wie ein Vogel zu flattern und zu fliegen hat sie probiert – und für „unnötig“ befunden. Heimat ist nicht in den eigenen vier Wänden, meint auch einer der Männer, freilich mit sarkastischem Zungenschlag. „Alle Probleme der Welt basieren auf Immobilien“. Humor flackert auf. Gerührte Anteilnahme und Sympathie für die so unverstellt wirkenden Japaner werden im Publikum spürbar.

Marionettenhaft steif bewegen sich die drei Männer und zwei Frauen, deren Beziehung zu einander in diesem Bewegungstheater undurchschaubar ist. Maskenhaft starr bleiben die Gesichter meist. Nur der ältere Mann stellt ununterbrochen gespielte Heiterkeit zur Schau. Selten hebt einer einen Arm oder spreizt die Finger, scheint zu einem Tanzschritt in Zeitlupe anzusetzen, kauert sich zusammen, lässt den Oberkörper nach vorn fallen. Mehr Tanz ist nicht. Karg und kalt wirkt der Spielraum zwischen Wartezimmer und Wohnung: links eine kurze Stuhlreihe, davor zwei Videokameras, die die gefilmten Gesichter in Nahaufnahme auf eine Großleinwand rechts über der derben weißen Essgarnitur– Tisch, zwei Stühle – projiziert.

Nur der Junge scheint ungerührt von dem „Geschwätz“ der Alten. Wenn er nicht reglos sitzt oder steht, vollführt er Fußgymnastik mit einem kleinen, magenta-farbenen Gummiball. Schließlich, nach fast anderthalb Stunden, explodiert er, kickt die Kugel mit Wucht auf die Leinwand. Blitzschnell duckt die Frau sich aus dem Bild weg. Für die Zuschauer war diese unerwartete, witzige Blitzaktion bei der Premiere geradezu ein Befreiungsschlag nach mühseliger Konzentration auf die deutschen Übertitel von Okadas ausführlichen, schönen Texten, die die Schauspieler auf Japanisch rezitieren.

Dreimal stand Tanz wieder auf dem Programm des Ruhrgebietsfestivals: Emanuel Gat’s „Brilliant Corners“ bot den rein tänzerischen, leichten Auftakt in der ehemaligen Waschkaue der Essener Zeche Zollverein. William Forsythes Auftrags-Kreation „Now This When Not That“ beeindruckte - tänzerisch superb, vielschichtig konterkariert mit Reportage ähnlichen Texten und effektvoll theatralischer Klangkulisse von Thom Willems - im mächtigen Industrieambiente der Bochumer Jahrhunderthalle.

Schließlich kaum bewegtes, aber umso bewegenderes Avantgarde-Theater aus Fernost von einem der führenden japanischen Regisseure der jüngeren Generation.

www.ruhrtriennale.de

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