So hübsch anzusehen wie überflüssig

Vladimir Malakhov produziert den Ballettklassiker „La Péri“ an der Staatsoper

oe
Berlin, 27/02/2010

Vorweg wieder einmal die Bitte, das koeglerjournal nicht mit einer seriösen Kritik zu verwechseln, wie sie Boris Michael Gruhl in der tanznetz-Ausgabe vom 28. Februar geliefert hat. Stattdessen der Hinweis, dass es sich beim kj um einen Blog handelt, also um eine persönliche Notiz, was man früher einmal eine Tagebuchaufzeichnung genannt hat. Hinzu kommt bei diesem Termin noch der Kollateralschaden einer zehnstündigen Bahn-Rückreise von Berlin, bedingt durch das Sturmtief Xynthia und die von ihm verursachten Verspätungen, die diesen Berlin-Trip nachträglich wie eine Horror-Story erscheinen lassen.

In seiner Berliner Anthologie der romantischen Geisterwesen ist Staatsballettchef Vladimir Malakhov nun also bei den Péris angelangt, den „unerreichbaren Feen-Wesen des orientalischen Paradieses“. Doch nicht etwa bei Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“, seiner Dichtung nach Thomas Moore für Solostimmen, Chor und Orchester, op. 50 des 1843 Dreiunddreißigjährigen, wie es einem Berliner Institut vom Renommee der Lindenoper zur Feier des 200. Geburtstages des Komponisten wohl angestanden hätte. Sondern bei jenem Ballett-Zweiakter vom gleichen Jahrgang 1843, der an der Pariser Opéra zwei Jahre nach „Giselle“ Furore machte – wiederum von Théophile Gautier erdacht, von Friedrich Burgmüller komponiert (der der Zwillingsbruder von Adolphe Adam hätte sein können), choreografiert von Jean Coralli, also einem weiteren Zulieferer von „Giselle“, und getanzt in den beiden Hauptrollen von Carlotta Grisi und Lucien (dem Bruder von Marius) Petipa – praktisch also von der ganzen Seilschaft aus der „Giselle“-Factory des Jahrgangs 1841.

Hier nun in neuer Bearbeitung von Malakhov als Choreograf und Regisseur, dirigiert von Paul Connelly und ausgestattet von Jordi Roig, von seinen Stuttgarter Anfängen her wohl bekannt (und bestens bewährt als Designer von Malakhovs Wien-Berliner „La Bayadère“). Und so wurde es eine weitere Berliner Hommage an das romantische Ballett, eine Petitesse, hübsch anzusehen und hübsch getanzt von Malakhov und Diana Vishneva, seiner Petersburger Muse, nebst ihren Berliner Kollegen vom Staatsballett, vom Publikum wohlwollend akklamiert wie all die anderen Produktionen des Hauses mit dem Markenzeichen Made by Malakhov.

Und so besuchten wir also diesmal die Cousinen der Sylphiden, Wilis, Bayaderen, Dryaden, Odalisken und nächtlichen Schwäne – und konstatierten abermals ihre geradezu inzestuöse Verwandtschaft aus der Familie der Taglioni, Coralli, Perrot, Bournonville, Iwanow und Petipa. Und ließen uns berauschen von den Moschusdüften und Opiumschwaden dieser Konfektionerie aus der Ballettboutique des 19. Jahrhunderts. Zumal da an der tänzerischen Qualität der Zutaten und ihrer professionellen Verarbeitung nach den Rezepten der Malakhov-Cuisine nichts auszusetzen war und die Tänzerinnen und Tänzer dieser friderizianischen Garde ihre Rollen und Partien wie für eine Parade gedrillt absolvierten – die Damen um Vishneva und Beatrice Knop nebst ihren Gespielinnen Elena Pris, Elisa Carrillo Cabrera, Corinne Verdeil und Gaela Pujol nicht minder als ihre Kavaliere aus der Kadettenanstalt alias Arshak Ghalumyan, Alexander Korn, Rainer Krenstetter und Dinu Tamazlacaru.

Umso größer der Katzenjammer nach diesen zwei Stunden angesichts der aufwändigen Produktion, mit der die Kompanie sich für mindestens zwei Jahre aus ihrem zwecks Renovierung zu schließendem Haus verabschiedet und in die theatralische Emigration begeben hat. Und sich daran zu erinnern, wie Malakhov vor fünf Jahren sich begeistert über seine Zusammenarbeit mit Sasha Waltz geäußert und von künftigen Koproduktionen geträumt hat. Zu denken, wie sie, die mit ihrer Inszenierung von Purcells „Dido and Aeneas“ an der Staatsoper Berliner Theatergeschichte gemacht hat, mit einer Produktion von Schumanns „Paradies und die Peri“ der maroden Berliner Ballettdramaturgie einen entscheidenden neuen Impuls hätte zuführen können. Und damit ein Zeichen gesetzt hätte für den Aufbruch in eine neue Berliner Ballettära, die auf die lokale Paul-Taglioni-Tradition Bezug nimmt, statt sich mit immer neuen Entstaubungsaktionen aus dem Paris-Petersburger Fundus zu begnügen.

Gleichzeitig erinnerte man sich daran, wie Gregor Seyffert vor sechs Jahren mit seiner Düsseldorfer Inszenierung von Schumanns weltlichem Oratorium kühn in die Luft gegangen war und der Geschichte um die Entsühnung der schuldig geworden Himmelsbotin eine so berückend schöne und moderne Form gegeben hatte (in der er selbst die androgyne Gestalt der Peri verkörpert hatte). Es ist und bleibt ein Jammer zu verfolgen, wie die Direktion dieser potenten Kompanie Mal um Mal versäumt, ein Repertoire eigener lokalen Identität aufzubauen, statt sich mit globalem Ehrgeiz zu schmücken. Da war das Berliner Ballett unter Tatjana Gsovsky den heutigen Bemühungen einer Konkurrenz mit Mischmasch-Kompanien à la American Ballet Theatre um Jahrzehnte voraus!

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